Was diese Hausbesetzung aufzeigen kann und wohin sie strebt

Die Carl-Zeiss-Straße 11

Das Haus steht seit mindestens fünf Jahren leer. Es gehört zum Uniklinikum und damit zur Friedrich-Schiller-Universität Jena, weswegen es den Universitäts-Vertreter*Innen obliegt eine Anzeige auf Hausfriedensbruch zu stellen oder auch nicht. Perspektivisch soll der ganze Komplex des Uniklinikums „Bachstraße“ nach Lobeda verlegt werden. Wenn diese Entwicklung abgeschlossen ist und das Grundstück verkauft wird, entstehen auf ihm sicherlich kein für normale Menschen bezahlbarer Wohnraum oder Orte, die der Allgemeinheit von Nutzen wären, sondern teure Eigentumswohnungen, welche auch die Mieten in den angrenzenden Vierteln in die Höhe treiben werden. Viele Menschen spüren einen Unmut über den ständig wachsenden Mietspiegel, schlucken ihre Wut jedoch hinunter anstatt sich zu wehren.

Wie andere Eigentümer – Private, JenaWohnen oder die Abbe-Stiftung – funktioniert die Universität ähnlich wie ein kapitalistisches Unternehmen. Wenngleich sie keine Profite realisieren muss, ist sie doch in die Logik der Verwertung und Nutzenmaximierung eingespannt. Sie berücksichtigt die Bedürfnisse von Studierenden oder auch ganz normaler Bürger*Innen nur insofern, als dass diese verwertbar sind oder diese mit Nachdruck politisch artikuliert werden.

Durch ihre Größe und Bedeutung in Jena ist die Universität ein Hauptakteur in der Stadtentwicklung. Sie fordert ihren Ausbau, beispielsweise in der überdimensionalen Bebauung des Inselplatzes, bei der ein soziokultureller Szenetreffpunkt plattgemacht werden wird. Gleichzeitig aber kann sie es sich offensichtlich leisten, ein Haus in bester Lage und gutem Zustand über einen langen Zeitraum verfallen zu lassen und der Allgemeinheit zu entziehen.

Nach dieser Logik ist die Universität über Jahre hin auf ein Maß angewachsen, welches einerseits eine gute Ausbildung unmöglich macht und andererseits für Platznot sorgt. Der Uni als Unternehmen ist dies jedoch reichlich egal, da sie entsprechende Gelder nach Anzahl der Studierenden bekommt. Ähnlich sieht es mit der Stadt selbst aus, in welcher die teilprivatisierte kommunale Wohnungsgesellschaft es nicht für notwendig hält, sozialen Wohnraum zu schaffen.

Beim Gerangel um die Bebauung des Eichplatzes stellte der Geschäftsführer von JenaWohnen Stefan Wosche-Graf unmissverständlich klar, dass sein Unternehmen nicht beabsichtigt Wohnraum für „Unterprivilegierte und Studenten“ schaffen zu wollen. Es war ein gutes Zeichen, dass sich die Bürger*innen Jenas über die Eichplatzbebauung deutlich gegen die arrogante und undemokratische Obrigkeitspolitik der Stadtverwaltung ausgesprochen haben. Dies ist ein Zeichen dafür, dass viele Menschen spüren, wohin die Stadtentwicklung steuert und dass diese und die herrschende Politik nicht in ihrem Interesse ist.

Warum aber eine Hausbesetzung?

Um diese Anliegen zu vermitteln braucht es aber keine Hausbesetzung. Wenn Menschen sich entscheiden, eine juristische und physische Schwelle zu überschreiten, dann nicht um lediglich zum Ausdruck zu bringen, dass die Stadtentwicklung aus ihrer Perspektive asozial ist. Vielmehr geht es darum, auf die vielen grundsätzlichen Probleme in der Gesellschaft und ihre zugrundeliegenden Ursachen aufmerksam zu machen. Es geht hierbei nämlich nicht um „bezahlbare Mieten“ sondern darum, dass Miete zahlen an sich beschissen ist, da sich darin das kapitalistische Ausbeutungsverhältnis widerspiegelt.

Es ist unglaublich, wie viel Lebenszeit Menschen in nervtötenden Lohnarbeitsverhältnissen verschwenden müssen, nur um an einem Ort wohnen zu dürfen. Doch auch die Miete ist wiederum nur Ausdruck einer Gesellschaft, welche auf ausschließendem Eigentum und Profitinteresse beruht und in keiner Weise nach der Idee funktioniert, allen Menschen unabhängig ihrer vermeintlichen „Leistung“ die Bedingungen eines gelingenden Lebens zu schaffen. Was sie aber locker könnte, denn wenn es etwas reichlich in der BRD – dem Gewinner-Staat der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise – gibt, dann ist es privatisierter gesellschaftlicher Reichtum.

Eine Hausbesetzung stellt diese und weitere Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse konkret und sichtbar in Frage und steht damit in Verbindung mit anderen sozialen Kämpfen, seien sie offen oder verdeckt, ganz nah oder weit entfernt. Die Universität ist dabei entgegen ihrer Selbstdarstellung genauso eine Herrschaftsinstitution. Ihr Ziel ist nicht die Erziehung zu mündigen, selbstständigen Menschen, sondern zu gehorchendem, unkritischem Arbeits- und Staatsvolk. Deswegen richten wir uns mit der Besetzung gegen die Uni in ihrer derzeitigen Form und fordern nicht den Erhalt.

Menschen, die sich an einer Hausbesetzung beteiligen oder diese auf verschiedene Weise gut heißen und unterstützen, beschäftigen verschiedenste Themen, welche sie grundsätzlich an der Einrichtung der kapitalistischen Gesellschaft zweifeln lassen.
Zum Beispiel:
– die sozialen Auseinandersetzungen weltweit, in jüngster Zeit beispielsweise die Kämpfe in Brasilien im Vorfeld und während der WM
– die weltweiten Kriege und Konflikte – in Syrien, der Ukraine, dem Irak und anderswo – an denen die BRD indirekt beteiligt ist
– das europaweite Erstarken rechter Bewegungen
– der barbarische Umgang mit Geflüchteten in der BRD, gerade überdeutlich bei der brutalen Räumung der besetzten Schule in Berlin-Kreuzberg
– die weiter voran getriebene Spaltung der Gesellschaft in Reiche und Arme, in Teilhabende und Ausgeschlossene
– die Situation von Menschen, welche nicht den Geschlechternormen entsprechen oder die Geschlechterrollen zurückweisen
– die Tatsache, dass die Mörder des NSU und ihr Unterstützerumfeld auch und gerade aus Jena kamen
– die Waffenproduktion in Jena mit der Unternehmen der BRD weltweit die Konflikte bewaffnen
– der übertriebene Ordnungsfetischismus, beispielsweise die unnötig hohe Polizeipräsenz oder die Auflösung diverser nichtkommerzieller Parties

Mit all diesen Themen und noch vielen mehr setzen sich politische Menschen auseinander. Um diese Auseinandersetzung weiter zu treiben und in praktische Folgen münden zu lassen, braucht es jedoch einen Raum. Einen Raum, welcher nicht der jeweils private von einzelnen Menschen ist, welcher jedoch auch nicht wie öffentliche Gebäude unter der normierenden Fuchtel und Reglementierung des Staates steht. Dieser Raum soll nicht nur frei sein von verschiedenen Dingen, die uns ankotzen und belasten; er soll auch frei sein für das praktische Entwickeln und Ausleben gesellschaftlicher Alternativen.

Heute
Es ist abzusehen, dass der Eigentümer mithilfe der Polizei so bald wie möglich die Besetzung beenden wollen wird. Die Aktion lebt dabei nicht nur von der konkreten Besetzung, sondern vom Bruch mit dem befriedeten Jenaer Alltag. Je mehr Menschen sich am Haus einfinden, eigene Aktionen machen, eventuell Flugblätter verteilen, Diskussionen führen und ein schönes Straßenfest veranstalten, desto größer wird sowohl die Wirkung der gesamten Aktion, als auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Besetzung langfristig sein wird. Im besten Fall gibt es viele unterschiedlich agierende Bezugsgruppen, die z.B.

* in Absprache miteinander zu bestimmten Zeiten die verschiedenen Zugänge zur Straße dicht machen
* weitere Menschen mobilisieren
* Infrastruktur für die Nacht heranschaffen und ein Frühstück für den nächsten Morgen organisieren
* generell ermöglichen, dass viele Menschen vor Ort bleiben (Essen, Beschäftigungsmöglichkeiten heranschaffen)
* eigene Inhalte per Flyer/Megafon vermitteln
* eigene Aktionen in der Stadt machen
* miteinander und mit anderen über die Stadtentwicklung in Jena und anderswo diskutieren
* darauf achten, dass der Sinn der Aktion und die Ruhe im Krankenhausgelände gewahrt bleibt

Als Besetzer*Innen gehen wir davon aus, dass die Polizei, wenn es einmal den Beschluss zur Räumung gibt, diesen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln durchsetzen wird. Sobald diese Situation eintritt, werden wir uns im Haus auf passiven Widerstand beschränken. Die staatlichen Organe werden im Ernstfall immer auf brutalere Ressourcen zurückgreifen, als wir sie uns jemals aneignen wollen. Das gilt vor allem für die spezifische Situation der Menschen im Haus. Auf dieser Grundlage könnt ihr für euch entscheiden.

Kommentieren ist momentan nicht möglich.