Das „Wir“, das „Sie“, das „Innen“, das „Außen“ und die „Zwischenräume“…
Was bei der fast 24 Stunden anhaltenden Hausbesetzung klargeworden ist, war eine große Unklarheit.
Unklar war – zumindest für viele -, wer wie und warum wo stand bei dieser Aktion. Dieser Artikel soll aus spezifischem Blickwinkel darüber reflektieren, weswegen das genau so richtig ist, warum es im Wesen der Sache liegt und an welchen Stellen es falsch ist, sich keiner Position zuzuordnen oder vermeintlich heraus zu halten. Es handelt sich um eine längere Abhandlung, welche trotz aller „wir“ und „sie“, eine Einzelmeinung darstellt. (Das ist wichtig.)
„Wir“, das sind viele.
Die Besetzung der Carl-Zeiss-Straße 11 hat eindrucksvoll gezeigt, dass viele Menschen in Jena etwas mit einer derartigen Aktionsform verbinden. Was sie damit verbinden, ist individuell sehr unterschiedlich. Verschiedene Meinungen gibt es darüber, was etwas bringt, wozu eine Hausbesetzung dienen kann und welche „Verhandlungsstrategien“ dabei angemessen sind. Dennoch steht fest, dass „uns“ in dem Moment etwas Undefinierbares verbindet, wenn „wir“ gemeinsam auf der straße vor einem besetzten Haus stehen, um vielfältigen Widerstand gegen seine Räumung zu leisten. Ob wir uns dabei von Schlägen und Zugriffen der Polizei haben Schmerzen zufügen lassen müssen oder auf dem „angemeldeten“ Teil der Kundgebung unseren Protest und unsere Bestürzung äußersten, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Alle Menschen, welche mit Sympathie und Engagement fühlten und wussten, warum es an diesem Ort und zu dieser Zeit um etwas zu kämpfen gibt, sind faktisch in dieser Auseinandersetzung miteinander verbunden – so unterschiedlich ihr persönlicher Bezug zur konkreten Sache auch sein mag.
„Uns“ verbindet dabei die Vorstellung und das Ringen um eine andere Gesellschaft. „Wir“ sind in diesem Sinne emanzipatorische Linke. Dies ist eine Unterstellung, die ich mir erlaube. Die Unterstellung dient nicht dazu, Leute zuzuordnen und in Kategorien einzuteilen, sondern dazu, darüber nachzudenken, in welcher Position sich die Einzelne/der Einzelne befindet. Denn wir alle haben Standpunkte von denen wir aus die Welt wahrnehmen, begreifen und gestalten – ob uns dies bewusst ist oder nicht. Dass es uns bewusst wird, ist ein Akt der Emanzipation. Unter anderem kann die Besetzung dazu einen Beitrag leisten; einen Anstoß geben.
Das „Wir“ darf und soll eine Viefalt sein.
Es soll keine homogene Masse, keinen Volksmob erzeugen. Es soll ein Kollektiv aus mündigen Individuen sein, die in all ihrer Unterschiedlichkeit – in, mit und durch ihre Konflikte – dennoch gemeinsame Wege gehen wollen. Nur im Bewusstsein unserer Gemeinsamkeiten und unserer Unterschiede, das heißt, im Entwickeln unserer jeweils eigenen Vorstellungen, können wir gemeinsam handeln. Auch aus meiner eigenen Perspektive sehe ich manche Gedanken und Tätigkeiten als „richtig“ oder „falsch“ an; ich selbst habe Vorstellungen darüber, was „etwas bringt“ und was nicht. Und darüber streite ich mich Weggefärten, Gegnern und Unentschiedenen. Wenn „wir“ aber für eine Zeit lang länger vor einem besetzten Haus stehen, uns darüber Gedanken machen, was das Ganze soll und wie wir in diesem Moment und in unserem alltäglichen Leben mit den kapitalistischen, durchherrschten und gewaltvollen Verhältnissen in denen wir leben umgehen – für diese Zeit lang gilt, staunend die widersprüchliche Tatsache hinzunehmen, dass „Wir“ bei allen Unterschieden doch auch viele Gemeinsamkeiten haben.
Die Voraussetzung für das Gemeinsame (das heißt auch: für den Kommunismus), ist nicht die Erzeugung eines harmoniesüchtigen Einheitsbreies. Solche Widerwärtigkeit können wir uns während der WM gerade alle Tage auf der Straße anschauen. Die Voraussetzung für das Gemeinsame ist der gegenseitige Respekt. Mit all meinen eigenen Ansichten frage ich daher in der Situation vor dem Haus: Warum stehst du eigentlich hier? Denn durch die Gründe der/des Anderen kann ich meine eigenen finden und weiterentwickeln.
„Wir“, das sind darüber hinaus auch alle Menschen weltweit,
die für ihre Rechte, ihre Anerkennung, für ihre Leben und das gute Leben für alle kämpfen. Sie aufzuzählen wäre aufgrund ihrer Vielfalt unsinnig. Darum greife ich als Beispiel das Thema auf, welches die Besetzer_innen aufgrund der Aktualität in den Vordergrund rückten: „Wir“, dass sind die Refugees in der besetzten Schule in Kreuzberg, welche nicht nur für sich, sondern für eine andere Gesellschaft kämpfen und dabei auf brutalste Weise die Repression der Staatsmacht erleiden müssen. Wenngleich wir uns in einem gemeinsamen Kampf für eine notwendig andere Gesellschaft sehen, wäre es dennoch absurd und anmaßend, für die Geflüchteten sprechen zu wollen. Denn sie sprechen für sich, kämpfen für sich und andere. Sie kämpfen um ihr Recht als Menschen anerkannt zu werden und für die Freiheit politischer Bewegung. Sie kämpfen dafür das ihre Stimme Gehör findet. Deswegen aber, führen „wir“ einen gemeinsamen Kampf und wollen den Refugees und dieser bedeutenden Auseinandersetzung Gehör verleihen.
„Wir“, sind aber auch die Besetzer_innen,
jene, die von der Aktion zuvor erfahren und sich eingebracht haben und ich, der ich diesen Artikel schreibe. Wie alle „Wir“ macht auch jenes ein Innen und ein Außen auf. Ein Innen-Außen, welches trennend wirkt und ein- und ausgrenzt. Dies ist ein Widerspruch und bringt „uns“ mit unseren Vorstellungen einer hierarchiefreien Gesellschaft und politischen Praxis in Konflikt. Denn „wir“ sehnen uns danach, mit vielen Menschen mehr „unserer“ Erfahrungen zu teilen, unsere Botschaft weiter zu vermitteln und einen offenen Austausch über die Geschehnisse vor Ort und in der weiten komischen Welt anzuregen. Dass bei der Aktion und der Kommunikation nicht alles gut lief, wird uns klarer, bedauern „wir“ und versuchen daraus zu lernen.
Doch die Bedingungen für unser Leben und unsere Auseinandersetzung werden uns von einer stark hierarchischen Gesellschaft auferlegt. Ihre Ausprägungen sind unter anderem Staaten, Nationen, Wirtschaftsunternehmen, Armeen und Polizeien, Bürokratien, Kirchen, seltsamen Schulen und Universitäten, Medienkonglomerate und Elitenzirkel (Achtung: analytisch zu verstehen: Verschwörungstheoretikern auf die Fresse!)
Zu diesem „Wir“ eines diffusen politischen Zusammenhanges in Jena können und sollen nicht alle gehören, die eine Besetzung erst mal „cool“ finden und als „Event“ begreifen, sich dann aber nicht in einen politischen Prozess einbringen. „Wir“ sind keine politischen Expert_innen und wollen es auch nicht sein. „Wir“ wollen als Menschen unser Menschenmögliches tun um gemeinsam an einer emanzipatorischen Gesellschaft im Hier und Heute zu bauen. In diesem Bestreben aber wollen „wir“ andere dazu ermuntern, es uns gleich zu tun. Konkret bedeutet das, sich selbst in Freundeskreisen und dauerhaften (!) autonomen Affinitätsgruppen zu organisieren und handlungsfähig zu werden. Entstehen immer mehr solcher verbindlichen Zusammenhänge, wird auch politisch mehr in „unserem“ Sinne möglich. Dann wird auch immer mehr möglich, was wir gemeinsam tun. (Für die nörgelnden Kritiker_innen nicht zu vergessen: Hier folgt der Vorwurf des „Voluntarismus“. 😀 ) Diese Besetzung sollte unter anderem ein Beitrag zu Politisierung sein. Sie sollte Menschen ermöglichen, sich selbst zu ermächtigen und politisch aktiv zu werden.
Darüber hinaus gibt es aber auch ein „Sie“…
„Sie“, dass sind unsere politischen und weltanschaulichen Gegner. Das „Sie“ ist genauso vielfältig wie das „Wir“. Im Gegensatz zu „Uns“ spielt bei „Ihnen“ aber Herrschaft eine viel größere Rolle und Herrschaftskritik kommt nicht vor.
„Sie“, dass sind die Bullen, welche mit einem widerlichen Grinsen ihre Helme aufsetzen, bevor sie uns verprügeln. In diesen Augenblicken fällt es schwer, hinter solchen Fressen einen Menschen zu erkennen. Zumal im Wissen darum, dass die gleichen Bullen zuvor in Berlin gegen den Protest mit Maschinenpistolen aufmarschiert sind. Dennoch nehmen sie ihre Rollen im „Sie“ ein. Die Polizei ist der prügelnde, absperrende, „sichernde“, zuordnende und Identitäts-Feststellende Arm einer herrschaftsförmigen Gesellschaft.
„Sie“, dass sind die Vertreter_innen des Eigentümers mit ihren Pseudo-Verhandlungen, ihrer süffanten und arroganten Art. Mit ihrer „Gesprächsbereitschaft“ im Moment, wo die Polizei leider doch unter den Augen einer zu großen Öffentlichkeit agiert und „uns“ in einer stillen Gasse noch brutaler traktiert hätte.
„Sie“, dass sind die Staatsanwälte, denen irgendwelche Klagen wegen „Widerstand“ vorgelegt werden müssen, um das Vorgehen zu rechtfertigen. „Sie“, dass sind die Zivilbullen und Verfassungsschützer, die bei solchen Ereignissen auf den Plan treten und uns geheimdienstlich unter Druck setzen und auseinander nehmen.
„Sie“, dass sind die Politiker_innen, dieser Stadt, welche ihre Visagen lächelnd in die Kameras halten, wenn irgendein öffentliches Gebäude geöffnet wird; die ihre Gesichter auf Wahlplakate drucken lassen, sich aber immer heraushalten, wenn es um reale soziale Konflikte in dieser Stadt geht.
„Sie“, dass sind die Nazis. Jene vom NSU und ihrem Umfeld, die aus Jena kamen. Und jene, die bei der Räumung herumstanden. An ihnen hätte die Polizei gerne ihre Aggression herauslassen dürfen – tat es aber nicht, denn der rechtliche Rahmen wird nicht nach unseren Maßstäben gesetzt.
… und die „Zwischenräume“
Bei den Zwischenräumen ist die Lage unklar. Tausend mal unklarer, als bei „uns“, die wir schon eine derartige Vielfalt darstellen.
In den Zwischenräumen befinden sich viele Journalisten, welche ihre oft hohlen und sinnlosen medialen Ereignisse produzieren wollen, ohne sich irgendwie mit Inhalten auseinandersetzen zu setzen. Lutz Prager zählt beispielsweise (!) dazu und ein Typ wie Jan Hendrik-Wiebe, der Menschen, welche sich politisch engagieren direkt mit ihren Gesichtern abbildet um sie von geifernden Betrachtern kriminalisieren und entpolitisieren zu lassen. Und um sie potenziell den Angriffen von Nazis auszusetzen. Diese „Berichtserstattung“ tendiert Richtung des „Sie“ und ist ein Fall unsolidarischer Dummheit.
In den Zwischenräumen, getrennt von „Uns“ und der Polizei befinden sich die Schaulustigen. Jene dämlichen Gaffer, die mit ihren beschissenen Handykameras Fotos machen, aber es nicht einmal für nötig halten, ein Flugblatt zu lesen. Es hat und wird sie wahrscheinlich immer geben: Eine Masse unterwürfiger, zwangsbefriedeter und nörgelnder Leute, die wegschauen, wenn die Gestapo die Nachbarn abholt. Die ihre Stimme im doppelten Sinne abgeben und das für Demokratie halten. Die glauben, der Bericht in den Schundblättern und der Polizei bilde die Wirklichkeit ab. Vielleicht bleibt es einfach eine Tatsache, die ich nie verstehen werden, dass es Menschen gibt, die letztendlich keine Verantwortung für sich übernehmen – das heißt, die sich nicht mit der Welt um sie herum auseinandersetzen und sie verändern wollen – weil die Veränderung bitter nötig ist. Dies wird an allen Enden deutlich, wenn man nur hinschaut.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten mit den Zwischenräumen umzugehen. Wir könnten sie als Masse für unsere Zwecke instrumentalisieren. Wir könnten sie einfach ignorieren, im Fachjorgon: auf sie scheißen und institutionsartige Politik machen. Was wir aber eigentlich wollen ist, mit unseren Leben und unseren Handlungen Zeichen zu setzen und zu überzeugen. Den Menschen ihre Erkenntnisse und die Wege dorthin selbst zu überlassen ist emanzipatorisch. Jede Meinung gelten und am Ende ein Mischmasch aus allem rauskommen zu lassen, worin sich doch nur die gleiche kapitalistische Gesellschaft erneuert, ist liberal. Und nicht meine Position.
Ich spitze zu und übertreibe, um zu polarisieren und dazu anzuregen, Position zu beziehen. Selbstverständlich können sich Menschen nur bedingt eine eigene Meinung bilden, wenn sie den ganzen Tag für Lohn arbeiten müssen. (Zu einem großen Teil, um horrende Mieten zu zahlen, sich also für Unternehmer und Eigentümer ausbeuten lassen.) Schwierig ist es, bei all der Meinungsmache in den verschiedenen Medien durchzusehen und zu verstehen, was warum wie dargestellt wird. Schwierig ist es, sich eine eigene Meinung zu bilden, in einem Erziehungs- und Bildungswesen, welches keine mündigen Menschen hervorbringt, sondern Staats- und Arbeitsvolk heranzüchtet. (Darin reiht sich die FSU Jena passend ein). Schwierig ist es, im alltäglichen Leben, Wege des Widerstandes gegen die falschen Anforderungen zu finden, mit welchen wir bedrückt werden.
Persönlich bin ich überzeugt davon, dass eine Gesellschaft nur dann gerecht und demokratisch ist, wenn alle Menschen, die an ihr teilhaben wollen (und nicht dazu gezwungen werden), sich selbstständig eine Meinung über die Verhältnisse bilden, an ihrer Gestaltung gleichberechtigt partizipieren können und ihnen zukommt, was ein schönes Leben ermöglicht. (Diese Meinung wäre vom Verfassungsschutz übrigens als linksradikal einzustufen, denn sie ist anarcho-kommunistisch.)
Von dieser Vorstellung ausgehend, scheint es mir aber auch der Fall zu sein, dass die meisten Menschen jetzt schon in diesem Sinne an der Idee und Durchsetzung einer anderen Gesellschaft partizipieren können. Dies ist keine Frage von „Intelligenz“, sondern von Wahrnehmung und Haltung.
Mit dieser Abhandlung dürfte dann wohl alles geklärt sein… 😀