Vom Sinn, Zweck und Versuch einer Hausbesetzung in Jena

Wir* nehmen uns Raum. Wir besetzen ein Haus und erzeugen einen kleinen Riss im normalen und normierten Gefüge der kapitalistischen Verwertung gesellschaftlichen Eigentums. Wir wollen diesen Raum öffnen, für alle Menschen, denen ebenfalls daran gelegen ist, mit den herrschenden Logiken in verschiedenen Lebensbereichen zu brechen und den Zustand der Gesellschaft hier vor Ort zu kritisieren und anzugreifen.

Dass wir mit diesem Akt des Ungehorsams bei vielen Bewohnerinnen der Stadt Verärgerung, Misstrauen und vielleicht sogar Angst erzeugen ist uns dabei klar. Die Verärgerung ist verständlich, wenn Menschen sich Rechte nehmen und Gesetze übertreten, die doch angeblich so vernünftig eingerichtet sind. Das Misstrauen ist logisch, wenn Menschen die gängigen, scheinbar demokratischen Regeln verletzen und für eine andere, befreite Gesellschaft eintreten, die so wenige sich zu erträumen wagen. Die Angst ist berechtigt, wenn die Besetzer_innen die bestehenden Verhältnisse offen in Frage stellen und etwas neues, anderes schaffen wollen.

Denn beim Versuch, Neues zu schaffen, Fenster und Türen aufzustoßen, können wir nicht wissen, wohin wir gelangen. Und allein diese Tatsache ist beunruhigend und stößt oft auf Ablehnung, weil Menschen spüren, dass sie in einer konfliktvollen Welt und in einer gespaltenen Stadt leben. Weil sie merken, dass es etwas anderes geben könnte; dass eine Stadt anders gestaltet werden könnte; dass ihre Bewohner_innen eine Art wirkliche Verfügung und Mitbestimmung über ihr unmittelbares Lebensumfeld haben könnten.

Auf der anderen Seite erzeugt eine Hausbesetzung möglicherweise Sympathie bei einigen Menschen. Einige Menschen haben es satt, in einer Stadt zu leben, wo ihnen die Luft zum Atmen knapp wird; wo ihnen täglich die Gestaltungsspielräume entzogen werden; wo sie immer höhere Mieten dafür zahlen müssen, dass sie einfach dort leben, wo sie leben. Mit einer Hausbesetzung bringen wir den Wunsch zum Ausdruck, die Verfügung über unsere Stadt zurück zu erobern.

Wir brauchen Räume um Neues zu entwickeln, zu diskutieren, zusammen zu kommen und linke emanzipatorische Politik praktisch werden zu lassen. Dabei geht es aber nicht um ein Haus, einen Ort des Rückzugs oder im besten Falle des Widerspruchs und Aufbruchs. Es geht um die Möglichkeit der Verwirklichung unserer Träume in dieser ganzen Stadt. Deswegen fordern wir Sympathisant_innen unserer Aktion dazu auf, sich in diesem Haus einzubringen und sich gleichzeitig weitere Häuser und Räume zu nehmen. Dass es keine gäbe stimmt nicht.

Die Hausbesetzung ist ein Akt der Selbstermächtigung; ein Versuch, die Möglichkeiten dieser Stadt auszuloten und herauszufordern. Dabei fordern wir nichts von offiziellen Vertreter_innen der Stadt, die wir nicht gewählt haben und nicht wählen wollen. Wir fordern kein Jugendzentrum, keinen Raum für Soziokultur und betteln nicht um das, was uns ohnehin als täglich Enteigneten und Entfremdeten zusteht. Wir erwarten nicht, dass uns von repräsentativer Stelle gegeben wird, was uns von dort nicht gegeben werden kann. Darum brechen wir mit der Logik eines Systems, in welchem sich die zu kurz Gekommenen noch um die letzten Brotkrumen von den Tischen der Herren streiten müssen. Und wir wollen andere ermutigen, das Gleiche zu tun und zwar auf die Arten und Weise, wie es jede und jeder für sich für richtig hält.

Eine Hausbesetzung in Jena ist das Normalste auf der Welt und die konsequente Form auf die stadtplanerische Kommunalpolitik zu reagieren. Wir tun nichts Verrücktes, sondern lediglich das Naheliegende. Das ist nicht spektakulär oder ‚cool‘, sondern einfach unsere Art auf unsere Umgebung Bezug zu nehmen und Einfluss zu gewinnen. Eine Besetzung ist keine revolutionäre Tat. Wir werden den herrschenden Zustand nicht überwinden. Nicht mit einigen Menschen, nicht mit einem Haus, nicht in einer Stadt. Was wir aber tun können, ist aufzuzeigen, dass ein Agieren in unserem unmittelbaren Umfeld möglich ist.

Ohne, dass wir jemals Staat, Nation, Kapitalismus, Geschlechter- und Herrschaftsverhältnisse sowie die sie verschleiernden und rechtfertigenden Ideologien überwinden zu werden, streben wir von ihnen weg; wollen sie verstehen, kritisieren und bekämpfen. Aus diesem Grund ist es erforderlich, dass wir einen Schritt voran gehen, dass wir agieren, anstatt immer nur zu reagieren auf die alltägliche Scheiße mit der wir umgeben sind. Von vielen andere Auseinandersetzung sind wir umgeben. Wutbürgerlicher Rassismus macht sich breit und geht mit staatlichem Abschiebungsterror einher, wobei ein aufsteigender Rechtspopulismus ihnen Tür und Tor öffnet. Nazis treiben ihr menschenverachtendes Unwesen und das genauso und schon immer in dieser zwangsbefriedeten Stadt. Ohne Ende langweilig ist die offizielle Politik, die es immer schwerer hat zu kaschieren, dass sie den Interessen weniger dient. Gerade die BRD ist der treibende Motor eines europäischen Krisenregimes, welches gleichzeitig die Grenzen innerhalb Europas und nach außen hochzieht, um die Menschen in Abhängigkeit, Dummheit und Armut zu halten. Um all diese Auseinandersetzungen wissen wir. Und wir sehen unsere kleine Aktion genau in diesem Zusammenhang, nämlich als Beitrag, vorwärts zu springen.

Es ist wichtig, den Kapitalismus und anderes grundlegend zu verstehen und zu kritisieren, damit wir nicht immer wieder auf die tausendmal gehörten Schein-Lösungen der Schreihälse und Ideologen hereinfallen. Die grundlegende Kritik an den Verhältnissen muss aber konkret werden und eine Hausbesetzung ist der ansatzweise Versuch, dies zu tun. Zu einer radikalen Kritik gehört eine radikale Praxis und beide sind ohne einander entweder intellektuelles Hobby oder blinder Aktionismus. In einer Menschheitsepoche, in der die früheren Vorstellungen von Zeit und Raum über den Haufen geworfen werden, wollen wir wie viele andere Menschen den bewussten Schritt gehen und ausnahmsweise ganz im Hier und Jetzt handeln. Deswegen besetzen wir ein Haus und dazu gehört selbstverständlich eine gesunde Portion Irrationalität, der Traum von einer besseren Welt eben. Das aber ist nur verständlich, in einer Welt, die durch Konkurrenz, Wettbewerb, Profitmaximierung, Zerstörung der Natur, den Glauben an die Notwendigkeit von Herrschaft und Herrschaftsideologien weit irrationaler ist als das Naheliegende zu tun.

* Wir, das sind alle, die sich mit unserer Aktion verbunden fühlen und Bock haben, sich auf vielfältige Art und Weise ihr Leben zurückzuholen. Auf jede und jeden der sich in diesem Sinne einbringen will, kommt es an und wird sich unser gemeinsamer Fortschritt messen lassen.