Die Manifestierung von Machtverhältnissen im bebauten Stadtraum
Die Stadt als eine „Maschinerie der Möglichkeiten“?
Die Stadt mit ihren Straßen, sogenannten öffentlichen Plätzen, öffentlichen Gebäuden, Parks, Wohnräumen, Einkaufszentren, Nah- und Fernverkehrsangeboten erscheint als eine Maschinerie an Möglichkeiten. Menschen können sich an den unterschiedlichsten Orten aufhalten, sich in den Straßen bewegen, sich ihren Wohnraum erschließen und einrichten, mit dem Nahverkehr von einem Ende der Stadt zum nächsten fahren, mit anderen Menschen in Kontakt kommen und ihre Freizeit nach „individuellen“ Bedürfnissen gestalten. Natürlich können sich manche Menschen eben bestimmten Wohnraum leisten- andere nicht. Manche Menschen können eben bei Tegut einkaufen- andere nicht. Manche Menschen können eben ihre Freizeit im GalxSea oder beim Shoppen in der Goethe Galerie verbringen,- andere nicht. Manche Menschen haben eben einen „guten Job“, arbeiten hart und können sich demzufolge eben einfach viel leisten- andere nicht. Ganz normal eben.
Das diese Zustände eben nicht „normal“ sind und individuelles Verschulden bzw. Hocharbeiten eben nur insofern individuell ist, dass es in ganz bestimmte Macht- und Gesellschaftsverhältnisse eingebettet ist, ist in einigen Teilen der Gesellschaft angekommen. Gleichstellungsbeauftragte, Gleichstellungsquoten und Initiativen, die sich gegen Gutscheine und die Residenzpflicht einsetzen sind nur einige der (mehr oder weniger sinnvollen) Versuche diesen mit Machtverhältnissen verbundenen Diskriminierungen und Ausschlüssen entgegenzutreten.
Diese herrschenden globalen Machtverhältnisse (Patriarchat, Kapitalismus, Imperialismus um nur einige zu nennen) scheinen dennoch oft als ein abstraktes Theoriegebilde, das irgendwie unterschwellig wirkt und das Leben jedes und jeder Einzelnen beeinflusst. Doch was hat das alles mit dem konkreten, bebauten öffentlichen Stadtraum zu tun, an den eine Hausbesetzung ansetzt und welchen sie angreift?
Der neutrale bebaute Stadtraum?
Der Stadtraum funktioniert als Spiegel der Gesellschaft und somit manifestieren und materialisieren sich Machtverhältnisse und Dominanzstrukturen ganz konkret in ihm- und können somit auch ganz konkret angegriffen werden.
Es handelt sich beim gebauten Stadtraum eben nicht einfach nur um einen Raum, der besteht. Räume werden vielmehr gemacht und entstehen erst durch die Beziehungen zwischen verschiedenen Subjekten und Objekten. Es ist also nicht möglich Raum, seine Entstehung und (An)Ordnung unabhängig von sozialen Beziehungen zu sehen.
Das Räumliche muss vielmehr als sozial konstruiert aber auch das Soziale als räumlich konstruiert erkannt werden. Und da der Raum eben aus sozialen Beziehungen ent- und besteht, ist er mit Macht und Symbolen des herrschenden Gesellschaftssystems durchsetzt. Die ungleiche Verteilung von Macht und Möglichkeiten manifestiert sich demzufolge im physischen Raum. Der bewohnte Raum wirkt wie eine Art spontane Symbolisierung des Sozialraums.
Soziale Strukturen und Gesellschaftsordnung sind durch die verschiedenen Raumnutzungen und (An)Ordnungen von Gütern und Menschen in den physischen Raum eingeschrieben. Es kommt zu einer Verdichtung von bestimmten Gütern, Menschen und Dienstleistungen an bestimmten physischen Orten. Aufgrund der entstehenden physischen Entfernung zu anderen Orten sind manche Menschen nicht bzw. nur eingeschränkt in der Lage, bestimmte Güter und Dienstleistungen zu nutzen. Somit beeinflusst nicht nur der Mensch den Raum, sondern der Mensch wird ebenfalls durch den Raum beeinflusst. Durch räumliche Erfahrungen (wie weit wohne ich von wo weg, wie kann ich mich wo bewegen,…) werden Gesellschaftsstrukturen vermittelt. Die Struktur des angeeigneten Raumes und die damit verbundenen ständig wiederholten Erfahrungen räumlicher Distanz funktionieren als soziale Ein- und Ausschlussmechanismen. Damit ist der Stadtraum, wie jeder andere Raum auch, der Ort, indem Macht und Dominanz sich behauptet und manifestiert, wobei sie in ihren subtilsten Formen als symbolische Gewalt zweifellos weitgehend unbemerkt bleibt.
Beispiele gefällig?
Je mehr (ökonomisches, soziales, kulturelles) Kapital ein Mensch besitzt, umso mehr Möglichkeiten hat er oder sie, den Raum mitzubestimmen und einzunehmen. Besitze ich viel Geld, kann ich mir ein riesiges Grundstück kaufen und somit viel Raum beanspruchen. Besitze ich weniger ökonomisches Kapital, kann es sein, dass ich gezwungen bin, weniger Raum einzunehmen. Deutlich wird dies zum Beispiel auch in den vorgeschriebenen Höchstquadtratmeterzahlen für Hartz 4 Empfängerinnen. Damit materialisieren sich Machtverhältnisse und ungleiche Positionen innerhalb der Gesellschaft allein schon in der Quadratmeterzahl die jede Einzelne für sich beanspruchen darf und kann. Doch nicht nur die sogenannte private Raumaufteilung ist Zeichen der herrschenden Verhältnisse. Im sogenannten öffentlichen Raum lassen sich ebenfalls zahlreiche Beispiele finden:
Obdachlose oder arme Menschen werden aus der Innenstadt verdrängt, indem zum Beispiel Räume zerstört werden, in denen Menschen sich ohne Konsumzwang aufhalten können. Aktuelle Beispiele aus Jena sind der Eichplatz und auch die Ausweitung des Einkaufszentrums „ Mitte“. In diesen Prozessen zeigt sich auch, wessen Bedürfnisse bei der Stadtplanung ernst und wichtig genommen werden. Nämlich die Bedürfnisse der Studierenden und der Uni (Inselplatzbebauung) und die (gemachten) Bedürfnisse der Menschen, die konsumieren wollen und können, während die Bedürfnisse marginalisierte Menschen einfach keine Berücksichtigung finden.
Asylsuchendenheime werden an den Stadtrand oder gänzlich ins Nirgendwo gedrängt, obwohl ebenso in der Stadt Möglichkeiten für eine (im besten Falle dezentrale) Unterkunft bestehen. Diese Menschen, die gesellschaftlich an den Rand gedrängt werden, erfahren dies also auch physisch durch die Lage ihrer Unterkünfte und die damit verbundenen Entfernungen zu Zentren. Ihnen wird also durch die physische Verortung die gesellschaftliche Ordnung, ihr Platz in der Gesellschaft vermittelt.
Homosexuelle Pärchen müssen mit physischer und psychischer Gewalt rechnen, wenn sie ihr Begehren in sogenannten öffentlichen Plätzen zeigen, während sich, als heterosexuell wahrgenommene Pärchen fröhlich in der Johannisstraße mit Eis füttern können. Nicht auszudenken, die Reaktionen wenn auf einmal eine Frau* und 2 Männer*, oder 3,4,5 erwachsene Menschen sich gegenseitig mit Eis füttern würden. Frauen* und alle Menschen, die sich abseits der heteronormativen Matrix verorten, haben tagtäglich mit street harassment zu kämpfen und sind gezwungen bestimmte Wege in der Stadt zu meiden, wollen sie keine negativen Erfahrungen machen. Menschen, die sich in einem Rollstuhl fortbewegen, stehen vor Treppen und hohen Straßenkanten. Und dies ist nicht das individuelle, medizinische Problem der einzelnen Menschen, sondern es wird zu einem Problem gemacht, da sich der Straßenbau am „Normkörper“ orientiert. Und dies ist nur ein Bruchteil der Ausschlussmechanismen, die tagtäglich im Stadtraum geschehen. Und all diese „kleinen“ Ausschlüsse und Diskriminierungen, die wir alle tagtäglich beobachten können, sind keine kleinstädtischen Erscheinungsformen, sondern Ausdruck globaler Machtverhältnisse und Normen. Also nein, der Stadtraum ist kein neutraler Raum, sondern die Materialisierung der herrschenden Verhältnisse. Man muss sich also gar nicht zwingend mit gesamtgesellschaftlichen Strukturen befassen um zu verstehen, was Kapitalismus, Patriarchat und Rassismus meint. Es reicht einfach mal die Augen zu öffnen und sich die (An-)Ordnung der Stadt genau anzusehen um zu verstehen, welche Menschen an die Peripherie (gesellschaftlich und räumlich) gedrängt werden, und welche Menschen riesige Orte im Zentrum besetzen können.
Stadt als Mittel der Gesellschaftsanalyse und als Kampffeld
Räume müssen aus diesem Grund bei der Analyse von Gesellschaften und damit verbundenen Ungleichheiten und Ausschlüssen berücksichtigt und mitgedacht werden, da sich Ungleichheit und Ausschluss in ihnen manifestieren. Aus diesem Grund erscheint es mir wichtig zu untersuchen, welche Menschen im physisch urbanen Raum sichtbar sind, wie viel Platz sie beanspruchen dürfen, wie welche Räume genutzt werden und welche Interessen und Bedürfnisse wie wichtig genommen werden und dies mit den größeren kapitalistischen, patriarchalen und rassistischen Strukturen zu verknüpfen.
Der Stadtraum als ein ständig umkämpftes Feld eröffnet die Möglichkeit Fragen aufzuwerfen, die über den konkreten Zustand der Stadt hinausgehen. So kann sich der Streit um die Frage nach der Nutzung des Eichplatzes ebenso dazu ausweiten zu fragen, wer in dieser Stadt überhaupt erwünscht ist und wer der Innenstadt bitte fernbleiben soll. So kann bei der Frage nach öffentlichen Verkehrsmitteln die Frage nachgeschoben werden, wer überhaupt auf diese angewiesen ist und warum. Es ergibt sich also die Möglichkeit an ganz konkreten innerstädtischen Beispielen größere gesellschaftliche Zusammenhänge zu verdeutlichen.
Aus diesem Grund kann eine Besetzung eines Hauses mehr als „nur“ das Anprangern von Leerstand in einer vollen Stadt wie Jena, oder das Anprangern von Eigentumsverhältnissen sein. Es geht vielmehr auch darum, wer sich wo wie in dieser Stadt verorten kann und darf. Und wenn diese Frage in die gesellschaftlichen Strukturen eingebettet wird, ergibt sich die Chance mit einer Hausbesetzung nicht an der Oberfläche zu kratzen, sondern grundsätzlichere Fragen zu stellen.