Rechtskräftige Verurteilung – Auf zu neuen Ufern!

Die Verhandlung, welche 9 Uhr begann, endete vor 11:30. In seiner Erklärung bekannte sich der Angeklagte zum Hausfriedensbruch, begründete diesen und zeigte keine Reue. In der Diskussion wurden verschiedene Rechtsauffassungen und demokratietheoritische Ansätze deutlich. ( 😀 ) Nähere Ausführungen erfolgen an anderer Stelle und anderem Ort. An der Soli-Kundgebung vor dem Haus beteiligten sich mehr als 30 Menschen.
Als Armutzeugnis ist es zu betrachten, dass die Verhandlung in keinem größeren Raum stattfand, denn eine entsprechend interessierte Öffentlichkeit war offensichtlich vorhanden. Auch deswegen glauben wir, dass sich weiterhin Menschen mit dem Thema „Hausbesetzungen“ (als Chiffre für weit mehr) beschäftigen und blicken an diesem sonnigen Tag – trotz Verurteilung zu einer Geldstrafe – lachend als moralische Sieger in die Zukunft. Allerdings ist auch zu bedenken, dass noch eine weitere Person mit derselben Beschuldigung vor’s Gericht gezwungen wird und ebenfalls unsere/eure Solidarität erfahren soll!
Hier im Anhang die vollständige Stellungnahme des Angeklagten vor Gericht:

Erklärung zu meiner Beschuldigung des Hausfriedensbruchs

Sehr geehrte Anwesenden,

seit Tagen bin ich bedrückt. Ich fühle mich nicht wohl, weil ich vor dieses Gericht zitiert werde; weil eine Anklage gegen mich erhoben wurde, welcher hier offenbar nachgegangen werden soll. Dies ist nun erst einmal Tatsache, aber an sich keineswegs ganz selbstverständlich. Die Anklage wegen Hausfriedensbruch hätte fallen gelassen werden können – wie in anderen Fällen geschehen. Oder ich hätte den gegen mich vorliegenden, aber bisher nicht unterzeichneten Strafbefehl erhalten können. Abgesehen davon, dass er im Vergleich lächerlich hoch angesetzt ist, hätte ich ihn aber akzeptieren können und nicht hier erscheinen müssen, was für mich – ich kann es nur wiederholen – eine äußerst unbehagliche Situation darstellt.
Anscheinend zieht die Gerichtsverhandlung gegen mich das öffentliche Interesse auf sich, was durch bestimmte Personen hier im Raum einseitig definiert werden kann. Schon öfters habe ich Öffentlichkeit geschaffen und diese genutzt – beispielsweise als ich am 6. Dezember 2013 das Haus in der Neugasse 17 besetzt habe. Der Rahmen der hier gesetzten Öffentlichkeit gefällt mir hingegen nicht besonders. Umso mehr freue ich mich, über all diejenigen im Saal, die heute hierher gekommen sind und dafür kein Geld bekommen – weil sie nämlich wirklich ein ernstes Interesse an der Sache haben. Und vielleicht sogar ihre Solidarität zum Ausdruck bringen wollen.

Wie gesagt, ich wurde genötigt hierher zu kommen und im amtlichen Schreiben dazu heißt es: „Wenn Sie ohne genügende Entschuldigung ausbleiben, müsste Ihre Verhaftung oder Vorführung angeordnet werden (§ 230, Abs. 2 StPO)“. Um mein eventuelles Fernbleiben von dieser Verhandlung zu verhindern, wird mir also mit meiner Verhaftung oder Verschleppung gedroht – gesetzlich legitimiert natürlich. Ich denke dies steht sinnbildlich für die gegen mich vorgetragene Beschuldigung. Ich wäre es, der eine „genügende Entschuldigung“ (wie auch immer die bestimmt wird) vorbringen müsste, um hier nicht erscheinen zu müssen.
Damit ich mich vor diesem Gericht entschuldige, werde ich angeschuldigt, dass heißt, mir wird eine Schuld zugewiesen. Weil ich aus meiner Perspektive keinerlei Schuld erkennen kann, fühle ich mich auch in keiner Weise schuldig und habe überhaupt nichts zu bereuen. Meines Wissens nach ist durch mein Handeln nicht der geringste Schaden entstanden – es sei denn, beispielsweise dem Herrn Wosche-Graf, welcher die Anzeige gestellt hat, tat es im Herzen äußerst weh, als ich im Haus Neugasse 17 saß, welches unter seiner Verantwortung als Geschäftsführer von Jenawohnen, aus Gründen der Immobilienspekulation 10 Jahre lang verfallen gelassen wurde.
Aber so sehr scheint ihn das nicht bekümmert zu haben, wenn er einen Strafantrag gegen mich erst zwei oder drei Tage nach der Besetzung stellte, wobei ich nicht mutmaßen möchte, ob ihm da nicht irgendein Staatsschützer kräftig zugeredet haben mag. Stellt sich die Frage, mit welcher rechtlichen Grundlage ich unbedingt aus der Neugasse 17 gewaltsam entfernt werden musste, wenn diese doch erwiesenermaßen nicht einsturzgefährdet war. Jedoch fürchte ich, diese interessanten Fragen werden hier nicht Thema sein.

Wo Anschuldigungen in dem Raum gestellt werden, stellt sich auch die Frage nach Verantwortung. Güter, welche öffentlich sein sollten, verfallen zu lassen ist nicht verantwortungsvoll. Dies überrascht aber nicht weiter, denn die kapitalistische Herrschafts- und Eigentumsordnung ist die organisierte Verantwortungslosigkeit.
Ich hingegen übernehme hier die volle Verantwortung für mein Handeln. Weil ich nichts zu verbergen habe, brauche ich auch nichts zu gestehen. Sondern ich stelle lediglich fest, dass ich am Nikolaustag 2013 das erwähnte Haus besetzt habe. Genauso wenig, wie ich es bereue, bin ich auch nicht darauf stolz, dies getan zu haben. Ich besetzte dieses Haus, nach eingängigen Überlegungen, zahlreichen Gesprächen und der Analyse heraus, dass dafür ein guter Zeitpunkt gekommen sein könnte. Deswegen sehe ich diese Aktion auch nicht als isoliert an, sondern eingebettet in einen Prozess der politischen Auseinandersetzung – im Vorfeld und auch im Nachhinein, hier im lokalen Kontext, aber auch um’s große Ganze, mit dem wir ringen. Darum ist mein Handeln auch Ausdruck für die Denk- und Handlungsweisen vieler anderer Menschen.

Ich besetzte das Haus, um damit symbolisch ein Zeichen zu setzen, um aufzuzeigen, dass es tiefergehende Handlungs- und Gestaltungsspielräume in dieser Unordnung des kapitalistischen Herrschaftssystems gibt. Die Bedingungen unter denen in der Gesellschaft gehandelt und gestaltet wird, werden definiert – wir können uns diesen aber verweigern und sie anfechten. Und wir können auf den Prozess ihrer Definierung Einfluss nehmen: Eigentumsverhältnisse – wie auch alle anderen gesellschaftlichen Verhältnisse – sind nichts Natürliches und Feststehendes. Sie sind bestimmte und variierende Verfestigungen von Macht- und Herrschaftsverhältnissen, Kompromissen und Zugeständnissen zwischen verschiedenen Gruppen.
Jeden Tag erzeugen wir alle die Gesellschaft neu – wenngleich unser Einfluss darauf aufgrund der Herrschaft äußerst unterschiedlich ist. Wenn wir der Lohnarbeit nachgehen, uns über die Welt verständigen, Mietpreise in die Höhe treiben und Häuser verfallen lassen, unsere Hecke schneiden, in den Urlaub fahren oder wie bei den ortsansässigen Firmen Cassidian und Jenoptik Waffensysteme entwickeln und bauen – mit all unseren Tätigkeiten erzeugen wir, mit ganz unterschiedlichem Einfluss darauf, die Gesellschaft. Wenn hier heute Recht gesprochen werden soll, dann eben auch um den vermeintlich beschädigten vorherige Zustand wieder einzurichten – damit alles so weiter läuft wie bisher.

Ich habe dieses Haus besetzt, um etwas Anderes zu ermöglichen; um einen Raum zu öffnen in dem neue und andere Vorstellungen des menschlichen Miteinanders gelebt und entwickelt hätten werden können. Die Kritik am Bestehenden ist absolut legitim und die Entfaltung emanzipatorischer Politik unbedingt notwendig. Dies ist der Fall, weil die Probleme der Gesellschaft nicht irgendwo von außen hereinkommen, sondern aus ihr selbst hervorgehen. Ich habe wenige Antworten und handle sicherlich nicht immer vernünftig; stattdessen will ich Fragen aufwerfen, zeigen, dass Menschen anders handeln können und sollen – um die Verhältnisse in Frage zu stellen. Das ist übrigens eine zivilisatorische Errungenschaft.

Weil ich von diesen und anderen Dingen überzeugt bin – ohne Gewissheiten zu haben – tue ich, was ich tue. Weil meine Ansichten und Handlungen, meine Haltung, reflektiert sind und in der Auseinandersetzung mit anderen Menschen immer wieder hinterfragt werden, kann ich mit ihnen auch völlig offen umgehen. Auch damit kommt in meinem Denken etwas anderes zum Ausdruck: Es steht im Gegensatz und in Konfrontation zu dem krassen Dogma der irren und bedingungslosen Eigentumsverteidigung, welches diesen völlig übertriebenen und absurden Polizeieinsatz zur Räumung rechtfertigen soll.

Als ich die Neugasse 17 besetzte, machte ich damit einen Vorschlag. Ich machte den Vorschlag, ein jahrelang ungenutztes Haus, Menschen zur Verfügung zu stellen, die darin ein selbstverwaltetes autonomes Zentrum hätten einrichten können. Das könnten sie auch jetzt noch tun. Ich bin mir sicher, dass würde zum Nutzen vieler geschehen. Einen Vertreter der Stadtverwaltung, einen Polizeichef und einen Geschäftsführer, die von vorneherein jegliche vernünftige Kommunikation ablehnen, kann ich nicht ernst nehmen.
Wenn sie sich bei der Besetzung eines jahrelang leerstehenden Hauses nach von ihnen verweigerter Kommunikation nicht anders zu helfen wissen, als diesen brutalen und stumpfsinnigen Polizeieinsatz anzufordern, zeigt dass ihre Beschränktheit im Denken. Weil sie sich eben nichts anderes vorstellen können, als mit Gewalt auf den Vorschlag zu reagieren, einmal etwas anders zu wagen. Und das ist ja nun weder logisch noch notwendig – es gäbe viele andere Möglichkeiten, auf eine solche Situation zu reagieren. Dass diese von den Verantwortlichen von vorneherein ausgeblendet werden, ist lächerlich. Aber eigentlich ist es eher noch traurig.

Hausbesetzungen sind völlig legitim – gerade auch hier in dieser Stadt, wo es an alternativen und selbstorganisierten Räumen fehlt. Diese werden uns aber nicht gegeben. Menschen müssen sie sich nehmen und aneignen, was auf vielfältige Weise geschehen kann. Weil ich auch dies aufzeigen wollte, war mir – nach intensiven vorherigen Überlegungen – von Anfang an klar, dass ich nicht freiwillig und erst recht nicht auf Gewaltandrohungen hin dort rauskommen würde. Gleichzeitig wollte ich gegen eine polizeiliche Maßnahme aber auch nicht mit aktiven Widerstand reagieren. Beides – meine Entschlossenheit, dass Haus nicht freiwillig zu verlassen und mein passiver Widerstand – wurde mehrfach durch Ansagen und über Flugblätter deutlich kommunziert. Dementsprechend handelte ich.

Mit dieser Aktion habe ich eine definierte Schwelle überschritten, nämlich jene des bedingungslosen Eigentumsrechts, welches dazu befugt, Häuser verfallen zu lassen, während andere Menschen sie sinnvoll nutzen wollen und können. Bei vollem Bewusstsein und mit ganzer Absicht habe ich diese Schwelle überschritten – und dabei niemandem Schaden zugefügt. Im Gegenteil habe ich damit einen Raum eröffnet – einen Raum der Auseinandersetzung mit den Verhältnissen in denen wir leben – abstrakt und konkret – materiell anschaulich verkörpert durch ein bestimmtes Haus. Mein Handeln lasse ich mir nicht von vorne herein durch Konventionen und Gesetze vorschreiben, sondern entscheide nach eigenem moralischen Abwägen und meinen emanzipatorischen Prinzipien selbst und in der Auseinandersetzung mit anderen darüber, wie ich handeln will.

Weil ich mir keiner Schuld bewusst bin, bereue ich in keiner Weise die Neugasse 17 besetzt zu haben. Weil ich keinen entstandenen Schaden erkennen kann, sehe ich die Vorwürfe gegen mich als unhaltbar an. Aus diesem Grund fordere ich meinen Freispruch.

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