Kritik am Debattenbeitrag zu Raummodellen und Strategiediskussion

Vorwort
(Überspring es, wenn du gleich die Kritik lesen willst)

Zunächst ist klarzustellen, dass der hier publizierte Debattenbeitrag, wie auch alle anderen Beiträge auf dieser Seite, eine Einzelmeinung darstellt, welche zur Diskussion gestellt wurde. Dies wird im der Diskussion um „Raummodelle“ und einer vermeintlichen Strategiediskussion auch so offengelegt, sollte aber aufgrund der aus meiner Perspektive äußerst fragwürdigen Inhalte nochmals betont werden. Grundsätzlich ist es begrüßenswert, wenn Menschen sich auch in dieser Dimension selbst ermächtigen sich eigene Gedanken zu machen und diese zur Debatte zu stellen.

Dass eine solche Diskussion offengelegt wird, ist sehr wichtig, denn sie stellt immer einen Stand der Entwicklungen dar. Gerade die Darstellung des Prozesses der Entwicklung inhaltlicher Standpunkte ist äußerst wichtig, weil sie verdeutlicht, dass alle Ansichten, inhaltlichen Analysen etc. stets nur Zwischenstände darstellen, welche es immer wieder zu diskutieren und gelegentlich auch weiterzuentwickeln gilt.
Die Annahme hier ist aber, dass der Debattenbeitrag keinen Fortschritt in der Diskussion darstellt, was wiederum die Prozesshaftigkeit unterstreicht. Dass heißt, es soll keineswegs behauptet werden, dass es keine Kriterien für emanzipatorische Perspektiven gäbe oder lediglich Meinungen abgebildet werden könnten. Dennoch sind Kriterien für die Bewertung von beispielsweise politisch-inhaltlichen Beiträgen wiederum eine Frage der Auseinandersetzung und können nicht von Vorneherein bestimmt werden. Eine Vereinheitlichung von Inhalten muss deswegen nicht zwangsläufig geschehen und es braucht auch keine „wahren Standpunkte“ von denen aus Handlungen und Beiträge zu bewerten wären.

Was es braucht, ist eine Diskussion um emanzipatorische Perspektiven und Handlungsformen. Eben aus diesem Grund stellt sich der „Debattenbeitrag“ als äußerst bedenklich dar und ist meiner Ansicht nach unbedingt zu kritisieren. Wenngleich er mit der eindringlichen Absicht geschrieben wurde, eine als solche behauptete emanzipatorische Bewegung darzustellen und zu legitimieren und voranzubringen, offenbart er hochgradig problematische Annahmen darüber, wie Emanzipation geschehen kann. Weiterhin zeigt sich im Beitrag ein mangelhafte inhaltliche Auseinandersetzung und Reflexion über die Thematik, was offenbar dem geschuldet ist, dass er aus keiner Diskussion als eines Gruppenprozesses geschrieben wurde, sondern wie erwähnt ein (legitimer) Einzelbeitrag darstellt, was leider wiederum nur die Möglichkeit einer einseitigen Kritik eröffnet, wie sie nun geübt wird.

Zwar betrachtet die Autorin/der Autor unterschiedliche Kontexte, also den von Saloniki/Griechenland und den von Jena/der BRD, welche in vielerlei Hinsicht äußerst verschieden sind. Gerade weil sie/er aber diesen Vergleich aufmacht und daraus Rückschlüsse für die Situation hier zieht, ist eine Kritik möglich und erforderlich.

Nun aber zu einigen Kritikpunkten, welche auch weiter vertieft werden können:

1 Sprache
… ist eine komplizierte Angelegenheit. Insbesondere, wenn sie nicht reflektiert verwendet wird. Wer genau durch diese Broschüre angesprochen werden soll ist mir trotz einiger Vermutungen ziemlich unklar. Insofern es sich um einige Menschen in Jena handelt, welche sich für linke emanzipatorische Politik etc. interessieren unterstelle ich, dass sie deren Sprache, also auch deren Gedanken- und Gefühlswelt in keiner Weise gerecht werden. Viel weniger noch zielt die Darstellung darauf ab, den engen Blick eines „politisch-aktivistischen Menschen“ zu weiten und andere Menschen mit ihrer Art zu sein (und ihrem gleichfalls notwendig falschen Bewusstsein) einzubeziehen.
Trotz vermeintlich objektivem Darstellungscharakter zeigt sich das große Pathos einer sehr subjektiven Position – was sicherlich spannend sein kann, aber seine Adresstinnen/Adressaten in meinen Augen verfehlt und sie darum auf zu agitierende Objekte reduziert. An vielen Stellen wird mit vermeintlichen Fachworten und einer geborgten Sprache um sich geschmissen, was lediglich zu Irritation führt, aber den Anschein von großer Intelligenz erwecken und somit eine Legitimation der eigenen Ansicht bewirken soll.
Was sind ein „fleißige_r Student_in oder prekäre_r Kopfarbeiter_in“? Was genau wird unter der „alltägliche[n] Politarbeit“ verstanden (welche durchweg als ‚zu tun‘ behandelt wird)? Was sind eigentlich „Politräume“? Unzählige Worthülsen ließen sich finden…

2 Offenlegen linker Strukturen
Der touristische Blickwinkel auf linke Strukturen in Saloniki ermöglicht auch jene sehr fremdartige Betrachtungsweise des Jenaer Kontextes. Sicherlich ist es sehr spannend und beeindruckend, was sich in anderen Ländern so erleben lässt. Und generell ist das eigene Erleben eine wichtige Voraussetzung für Bewusstseinsbildungsprozesse. Eine grundsätzliche Ablehnung von der Darstellung einer „linken Szene“ oder so etwas soll an dieser Stelle nicht erfolgen, wenngleich im Einzelfall durchaus darüber diskutiert werden müsste. Auch, dass alle „Genoss_innen“, sei es aus dem „Wolja-Umfeld“ oder jenem von Saloniki mit einer derart touristischen Offenlegung einverstanden sind, wage ich zu bezweifeln. Dabei geht es auch darum, was der Staat weiß. Was öffentlich ist, weiß er aber ohnehin und eine unnötige Geheimniskrämerei darum ist unsinnig. Reiseberichte, am besten geknüpft an eine klassische Dia-Show, sollten meinen Meinung nach unter Freundinnen und Bekannten gegeben werden. Wieso ein voyoristischer Blick hier angelegt wird ist mir unklar – wahrscheinlich einfach, um uns netterweise ein paar Eindrücke zu geben und durchaus auch zum Nachdenken anzuregen. Mit dieser Annahme ist die dargestellte Perspektive aber zu überprüfen.

3 Vergleich der Kontexte fragwürdig
Saloniki-Jena, Griechenland und die BRD sind sehr verschiedene Angelegenheiten. Da wir in einer globalisierten Welt leben und alles mit allem verbunden ist, wie auch die Herrschaft jene Trennungen setzen, welche eine freie Gesellschaft verhindern, können Vergleich angestellt werden. Dies ist auch der Anspruch der Autorin/des Autors, will sie/er doch „hier also keine absoluten Wahrheiten verkünden, sondern in erster Linie einen ähnlichen Kampf aus einem anderen Land (Griechenland) vorstellen und daraus Vorschläge für unseren lokalen Kontext ableiten, deren Richtigkeit sich vielleicht erst im Ausprobieren zeigt (oder eben nicht)“. Die Schlussfolgerungen welche daraus gezogen für den lokalen Kontext gezogen werden verkennen allerdings aufgrund ihrer Unmittelbarkeit seine vielfältig anders gelagerten Bedingungen. Dennoch kann und sollte aus anderen Kontexten selbstverständlich gelernt werden. Dies wird auch eingefordert: „Anstatt, wie das bei international(istisch)en Begegnungen oft der Fall ist, den Oberlehrer für Antisemitismus, Feminismus, Nationalismus und Veganismus zu spielen, würde es uns nicht schaden, mal von den Erfahrungen unserer Genoss_innen aus anderen Kontexten zu lernen“.
Die selbstbezügliche Rechthaberei vieler Menschen in einem politisch-linken Zusammenhang ist oft nicht zielführend und wiederum kritikwürdig, lassen sich Erkenntnisse nämlich nicht allein durch theoretische Beschäftigung, sondern genauso aus praktischen Auseinandersetzungen gewinnen. Zudem gilt es auch konkrete Kämpfe zu führen, was viele, die um die Verhältnisse in denen wir zu leben gezwungen werden, wissen. Dennoch gibt es emanzipatorische Standarts, deren Erreichung eben gerade das Ergebnis schwieriger politischer Auseinandersetzungen ist und welche es unbedingt zu verteidigen gilt. Was ihre Umsetzung genau bedeutet hängt vom jeweiligen Kontext ab. Sicherlich ist die Rolle eines „Oberlehrers“ nicht hilfreich, will man emanzipatorische Prozesse anstoßen, also ermöglich, dass Menschen sich selbst in diesem Sinne und mit ihren Widersprüchen, gesellschaftlichen Prägung und Unzulänglichkeiten verändern. Wenn es aber Standards gibt, welche hart erkämpf wurden und darum eingehalten werden sollten ist ihre Verbreitung, also auch die Kritik an ihrer mangelhaften Umsetzung unbedingt erforderlich. Dies gilt insbesondere für emanzipatorische Hauptthemen wie „Antisemitismus, Feminismus, Nationalismus“.

4 Blinder Aktionismus
Durch den reinen „Willen“ verändert sich die Welt eben nicht. Nicht dadurch, dass Menschen sich blind politisch engagieren; auch nicht, wenn sie sich zurückziehen und in Theoriearbeit flüchten ohne ihre Erkenntnisse mit anderen zu teilen.
So heißt es beispielsweise: „Eine Aktion aller halbe Jahre, ein Plenum die Woche, vielleicht noch ein Lesekreis oder Antifa-Kaffee-Klatsch sind halt einfach zu wenig, wenn wir uns die Widerstände gegen unsere Politik aus Staat und Bevölkerung, unsere geringe Anzahl und gesellschaftliche Isolation vor Augen führen“. Nach dem Motto: ‚Viel hilft viel‘ wird hier ausgesagt, dass es um die Quantität der ‚politischen‘ Ereignisse/Veranstaltungen etc. geht und die ‚Masse der Leute‘ es schon richten wird. Getrieben von dem ernstzunehmenden und begrüßenswerten Wunsch, die eigenen Inhalte zu verbreiten und mehr Menschen in ein emanzipatorisches Projekt einzubinden, verkennt diese Vorstellung völlig, dass der Masse und den Mengen in jeglicher Hinsicht nicht zu trauen ist. Die Frage ist doch mit „welcher Aktion, mit welchem Plenum“ usw. wir es zu tun haben. Wie viele Leute sitzen ihre Zeit sinnlos in irgendwelchen [Sprache der Autorin/Des Autors] „Poltigruppen“ ab, ohne, dass hier nennenswerte emanzipatorische Entwicklungen gesehen werden können (was gleichwohl auch nicht geschieht, wenn alle sich zurück ziehen und die Auseinandersetzungen und auch politische Praxis scheuen)?
Treffend wird formuliert: „wir müssen aber endlich mehr Aktionen machen und mehr Organisierungsarbeit leisten“. Ersteres nein (oben beschrieben, „Aktionen“ usw. sind an sich keinesfalls irgend ein Wert), zweiteres ja. Auch hierbei stellt sich allerdings die Frage nach den Inhalten, also wofür „Organisierungsarbeit“ geleistet werden soll. Der blinde Aktionismus durchzieht den ganzen Text und kompensiert das Verlangen der Autorin/des Autors danach, dass eben irgendetwas geschehen soll. Sehr interessant ist auch der Leistungsgedanke, denn eine Frage, die hier unterschwellig mitschingt ist offenbar, dass sich ‚Leistung wieder lohnen‘ muss. Was auch immer, „Hauptsache’s knallt!“, wie es genauso dämlich in das Motto einer Antifa-Mobilisierung 2010 war, um den Bezug zum lokalen Kontext herzustellen.

5 Unmenschliche Forderungen
Kein Wunder, dass eine solche Haltung zu überaus problematischen und zu weiten Teilen völlig antiemanzipatorischen Forderungen führt, welche einseitig an die unbestimmte Leserschaft gestellt werden. Die krudesten Zitate hier abzubilden, bereitet mir selbst Schmerzen, aber ihre Offenlegung ist wichtig: „Um all das leisten zu können, kann es gut sein, dass wir (oder zumindest Einige von uns) unsere bürgerlichen Karrieren an den Nagel hängen und unsere sub- und jugendkulturelle Lebensart überwinden müssen und stattdessen hochpolitisierte, alltagsmilitante Biographien beginnen müssen“.
„Das heißt nicht nur, prinzipiell bereit zu sein, Dinge wie U-Haft, Knast, Observation, Bußgelder usw. in Kauf zu nehmen, sondern vor allem einen Großteil der eigenen Ressourcen (Zeit, Kohle, Kontakte) fü gezielte und strategische Politarbeit einzusetzen.“
Eigentlich fehlen mir an dieser Stelle die Worte und ich hoffe durchaus, dass jede Leserin/jeder Leser, die/der einigermaßen Gefühl und Verstand hat, bei solchen unmenschlichen Forderungen instinktiv „Nein“ ruft und sich, wenn es nicht anders geht, von ihnen distanziert. Offenbar ist der Autorin/dem Autor völlig unklar, was es bedeutet von anderen Menschen zu fordern „unsere bürgerlichen Karrieren an den Nagel [zu hängen] und stattdessen hochpolitisierte, alltagsmilitante Biographien [zu] beginnen“. So ein Schwachsinn las ich selten in letzter Zeit und würde vorschlagen die Autorin/der Autor sollte hier – wie generell auch – bei sich selbst beginnen und die nächste RAF gründen. Oder besser: Diesen Schritt gleich überspringen und sich selbst in „U-Haft“ oder den „Knast“ zu begeben, sowie „Observation, Bußgelder usw. in Kauf zu nehmen“ – weil das ja alles so toll und lustig ist. Hauptsache, die eigene Rechtfertigung, dass eigene Märtyrertum scheint durch. Gerade weil ich der Autorin/dem Autor unterstelle, dass es sich bei diesen Formulierungen um reinen Verbalradikalismus handelt, sollte er/sie sich genau überlegen, was hier für unmenschliche Forderungen gestellt werden. Derart antiemanzipatorische Inhalte und Ansichten gilt es konsequent zu bekämpfen – um der befreiten Gesellschaft Willen, welche allein durch jene Mittel verwirklicht werden kann, welche man sich wählt.

6 Mangelhafte Reflexion
Spekulationen können auch mal interessant sein. „Es wäre sich auch mal interessant, die in Italien und Griechenland üblichen dauerhaften Besetzungen von Uni-Räumlichkeiten und ihre Transformation zu selbstverwalteten Stützpunkten auszuprobieren und so den autoritären Verwaltungsapparat der Uni herauszufordern“. Sicherlich. Die Frage ist, von welchem Kontext gesprochen wird und warum manche Dinge eben nicht geschehen.
„Jetzt mal ehrlich: Wenn wir uns vor ein besetztes Haus stellen, um uns dann bloß von den Bullen verprügeln zu lassen und dabei „Wir sind friedlich!“ zu schreien, können wir’s auch gleich lassen“. Die Frage ist, warum die Autorin/der Autor es dann nicht sein lassen hat wenn sie/er daran teilgenommen haben sollte. Warum rufen Menschen denn, „wir sind friedlich“ und nicht etwas anderes. Warum handeln sie denn auf jene Weise, die kritisiert wird anstatt anders? Die Kontextbedingungen, umso mehr noch die Menschen darin, werden komplett verkannt, was die mangelhafte Reflexion offenlegt, mit welcher hier vorschlagsweise unreflektierte Ansichten verbreitet werden.
„Warum nicht einfach mal offensive Formen der Verteidigung wie das Werfen von Steinen oder mit Farbe gefüllten Flaschen wiederentdecken? Oder vor Demos in einem Vorbereitungstreff einen Demoschutz organisieren und uns kollektiv mit hübschen Knüppelfähnchen ausstatten?“. Ja, oder warum nicht einfach mal Kaffee trinken und dabei zuschauen wie die staatliche Ordnungsmacht auf einen solchen Gewaltfetischismus reagiert? Das ist nicht falsch zu verstehen: Keineswegs soll hier grundsätzlich von ‚militanten Handlungen‘ oder dergleichen abgeraten werden. Handlungsformen sind immer situationsabhängig und die Verantwortung haben diejenigen, welche sie anwenden. In jeglicher Hinsicht: Niemand soll vorschreiben, wie Einzelne zu handeln haben, aber jede/jeder hat die Folgen für das eigene Handeln zu verantworten. Dieser grundlegende emanzipatorische Gedanke kommt im „Debattenbeitrag“ eigentlich überhaupt nicht vor.

Fazit:
Die doch recht ausführliche Kritik an einigen Aspekten des „Debattenbeitrages“ soll hier nicht zum Abschluss gebracht und damit geschlossen werden. Aufgezeigt wurde, dass „in bester Absicht“ verbalradikale Ansichten verbreitet und unmenschliche Forderungen aufgemacht werden. Die Adressatinnen/Adressaten des Beitrags werden kaum wahrgenommen und aus einer fragwürdig subjektivistischen Perspektive aufgrund ihrer vermeindlichen Unzulänglichkeit, ihres mangelnden Interesses oder ihrem fehlenden „Glauben“ unterschwellig in ihrem Menschsein entwürdigt und auf zu agitierende Objekte reduziert.
Diese und viele weitere Aspekte offenbaren die mangelhafte Reflexion mit welcher die Autorin/der Autor den Kontext verkennt und verschiedenen fetischisierten Vorstellungen erliegt. Darin zeigt sich, dass sich hier nicht in Widersprüchen bewegt , sondern das „was gemacht werden soll“ vorweggenommen wird, obwohl durch seine zunächst inhaltliche Unbestimmtheit all das hochgradig Problematische aufscheint, was darunter mitschwingt.

Ich persönlich gelange deswegen zur Ansicht, dass es solche Positionen konsequent zu bekämpfen gilt, wo ich aber Potenzial sehe, die Hoffnung hege, dass dabei doch etwas entwickelt werden kann. Verbalradikalismus ist das eine, Handlungen von Menschen sind das andere. Wenn ich die Autorin/den Autor mit ihren/seinen geschriebenen Worten aber ernst nehmen soll (und das darf durchaus erwartet werden, zumal der Text von tiefer Ernsthaftigkeit geprägt ist, wenn er nicht als Ganzes als Witz gemeint sein soll) muss meine Kritik daran unbedingt deutlich werden – in der Hoffnung auf Emanzipation.

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