OM10 Gö: Wegweisendes Aneignungskonzept?

Neben der alltäglichen Scheiße gibt es ja auch mal gute Nachrichten. So scheint die Aneignung des ehemaligen DGB-Hauses in Göttingen sinnvolle Wege aufzuzeigen, die Solidarität mit Geflüchteten praktisch werden zu lassen und sich den Wohn- und Lebensraum zurück zu holen, der den Menschen ohnehin gehört. Selbstverständlich kein revolutionärer Akt, noch nicht einmal eine wirkliche Provokation, sondern eine für alle verständliche und logische Konsequenz aus der miserablen Behandlung von Leuten, die gerade in die BRD kommen, um hier zu bleiben.
(nachzulesen hier: http://omzehn.noblogs.org/das-projekt-om10/)

Wenn wir in Jena weiterhin darüber nachdenken, ob und in welchem Kontext, welche politischen und direkten Aktionen Sinn ergeben, dann ist klar, dass die katastrophale Situation Geflüchteter auf jeden Fall immer mitgedacht wird. Selbstverständlich kann es dabei nicht um die Übernahme von Funktionen gehen, die staatliche Einrichtungen zu schultern haben, indirekt also die Gesellschaft als Ganze zu bewältigen hat – und das auch gegen den Willen der Rechtspopulist_innen und Faschos. Trotzdem fordern wir kein „besseres“ Funktionieren oder lediglich, dass Regierungen und Verwaltungen ihren vorgeblichen Aufgaben nachkommen sollen.

Die linke Landesregierung Thüringens geht mit schlechtem Beispiel voran, wenn es darum geht, die Bedingungen in den Lagern schön zu reden, sie zu ignorieren und auf das „gemeinsame Anpacken“ zu schwören, das heißt die „Zivilgesellschaft“ als Teil des Staates zu mobilisieren. Staatstragende und hilfbereite Zivilisten finden sich hier zu Lande ja zu Hauf, wie der Sommer bewies. (im Osten der BRD, strukturell natürlich weiterhin sehr unterentwickelt). Das ist an sich auch keine schlechte Sache. Allerdings wäre es ein weiter Weg, deren Helfersyndrome wirklich produktiv und herrschaftskritisch zu wenden um die Solidarität mit Geflüchteten praktisch selbst zu organisieren – nicht aus Wohltätigkeit heraus, sondern im gemeinsamen Kampf mit den Betroffenen.

Die Aneignung der OM10 in Göttingen scheint einen guten Weg aufzuzeigen, um den Zusammenhang zwischen der grundsätzlichen Problematik der kapitalistischen Eigentumsordnung und Verwertungslogik mit den unhaltbaren Zuständen, in denen Geflüchtete zu leben gezwungen werden, aufzuzeigen. Und zwar auf eine Art und Weise, die durchaus vermittelbar ist: So wird bewusst, dass es immer eine Frage der Auseinandersetzung ist, wie der gesellschaftlich produzierte Reichtum verteilt wird und welche Trennungen uns die Herrschaft auferlegt, die wir überwinden wollen.

Selbst für eine derart handzahme Aktion wie in Göttingen ist das Protestpotenzial in Jena allerdings noch weithin zu entwickeln. Außerparlamentarische links-emanzipatorische Ansätze stoßen hier zumeist noch auf großes Unverständnis, weil sie tatsächlich wenig existieren bzw. kaum (wahrnehmbar) öffentlich in Erscheinung treten. Vor allem muss auch über den Talkessel hinausgeschaut werden und es ist zu überlegen, wie Geflüchtete aus Thüringen beispielsweise in diese Stadt kommen können, weil sie woanders direkt bedroht oder – wie in Suhl – unter völlig unwürdigen Bedingungen eingepfercht werden. Die pseudopartizipative Jenaer „Bürgergesellschaft“ mit ihrem Motto „Langeweile per Akklamation“ wird dabei sicherlich keine große Hilfe sein.

Dem Rechtpopulismus mit einem Linkspopulismus (es geht dabei nicht nur um Masse, sondern den Ansatz) zu begegnen, in der Hoffnung, Menschen zu aktivieren und für die eigene Sache zu begeistern, kann allerdings nicht unser Weg sein. Unabhängig davon gibt es aber emanzipatorische Werte, die wir für selbstverständlich halten (auch wenn sie es in Kaltland nicht sind) und die wir natürlich verbreiten wollen. Dann müssen sie aber auch eine entsprechende Vermittlung finden, d.h. von Menschen für sich selbst entdeckt und gelebt werden. Kleine, gut durchdachte Aktionen, die reale Auswirkungen haben, weil sie Tatsachen schaffen anstatt Appelle zu formulieren, bringen für unsere Sache deswegen mehr als die Mobilisierung vieler Menschen, die sich als „irgendwie antirassistisch“ oder „irgendwie links“ verorten.

In diesem Sinne gehen wir weiterhin dem Kram nach, den wir eben so machen und wollen alle anregen, sich kritisch und verbindlich selbst zu organisieren. 😀

Kommentieren ist momentan nicht möglich.