„Analyse zum explodierenden Jenaer Immobilienmarkt“
Es muss darum gehen, keine Miete mehr zu zahlen. Nicht, weil wir alle Eigentümer_innen werden sollten, sondern, weil das Eigentum abgeschafft werden muss!
– Hinter dieser vernünftigen Forderung steht nicht die unsinnig Annahme, alle müssten miteinander „die Zahnbürsten“ etc. teilen. Vielmehr geht es um eine rationale Verteilung gemeinsam produzierter Güter, wie sie im kapitalistischen Herrschaftssystem unmöglich ist.
Radikale Aktionsformen dienen nicht zuerst dazu, gemäßigten Forderungen nach „bezahlbaren Mieten“ Nachdruck zu verleihen. Vielmehr beeinhalten sie selbst die Vorstellung einer ganz anderen Gesellschaft, in welcher Tätigkeiten wie Miete zahlen ein komischer Witz über die Vergangenheit ist. Darum aber ist es umso erforderlicher, die komplizierten Verhältnisse zu verstehen und auf sie Antworten zu finden. Selbstverständlich wären niedrigere Mieten dabei hilfreich, weil sie den Menschen mehr Leben und Luft zum Atmen lassen.
Schön, dass sich offenbar auch teilweise die Bürger_innen anfangen mit diesem klassischen Thema zu beschäftigen. Schade, dass es ihnen selten gelingt sich gegen ihre Ausbeutung zur Wehr zu setzen und beispielsweise mal einen Monat lang kollektiv die Miete zu verweigern, den Eigentümern und Wohnungs“genossenschaften“ auf den Wecker zu gehen oder sich für die Ausweitung gemeinschaftlich und kostenlos nutzbarer Orte einzusetzen. Was nicht ist kann ja noch werden. Vielleicht ist eine „Analyse zum explodierenden Jenaer Immobilienmarkt“ dafür ein Anfang: von: http://www.jenapolis.de/2014/11/16/gewinner-und-verlierer-am-explodierenden-jenaer-immobilienmarkt/
„Analyse zum explodierenden Jenaer Immobilienmarkt
Über ein System, was es zu verstehen gilt, um es ändern zu können!
Alle deutschen Städte mit wirtschaftlichem Entwicklungspotential erfreuen sich in den letzten Jahres eines regen Zuzugs. Junge Manager, Verwaltungspersonal, qualifizierte Mitarbeiter, ganze Unternehmensbereiche, die sich neu ansiedeln möchten. Es hat ein Run auf Wohnungen eingesetzt in fast alle Großstädte in Deutschland. Die Städte sind glücklich über das gestiegene Wirtschaftspotential und zufrieden über den finanzkräftigen Zuzug. Je kräftiger der Zuwachs, um so drastischer steigen die Grundstücks- und Immobilienpreise. Jena boomt in dieser Hinsicht besonders stark. Das ist nicht nur den Immobilienunternehmen, sondern auch den Medien aufgefallen. Vor einem Jahr haben sich namhafte Publikationen diesem Jenaer Phänomen gewidmet.
Vergleichsstudien zum Wohnungsmarkt in Jena
In einer Studie der Bertelsmann-Stiftung sollte herausgefunden werden, wie sehr die Mietkosten in Großstädten das zur Verfügung stehende Familienbudget belastet. Die hundert einwohnerstärksten Städte Deutschlands wurden unter die Lupe genommen. Im Vergleich befindet sich Jena zusammen mit München und Hamburg auf den obersten Positionsrängen weil gemessen am Durchschnittseinkommen eine Jenaer Familie mehr als 50% des Familienbudgets für die Wohnungsmiete aufbringen muss. Nun bezog sich dieser Vergleich allerdings hypothetisch auf einen angenommenen Zuzug nach Jena. Alle Verantwortlichen der Stadt und die Immobilienunternehmen fanden schnell heraus, dass die große Mehrheit der Jenaer nicht betroffen ist, weil ja die Bestandsmieten deutlich günstiger sind. Genau das macht aber Jena für Anleger so interessant.
Immobilien- und Anlagegesellschaften führen regelmäßig Untersuchungen zu Renditeerwartungen und Risiken der Geldanlage in Immobilien durch. Im Ranking der deutschen Mittelstädte liegt Jena ganz weit vorn, weil der Leerstand hier gering ist, das Mietniveau relativ niedrig und folglich noch großes Steigerungspotential vorhanden ist.
Eine risikoarme und sichere Geldanlage also?
Der Mietspiegel macht es möglich. Der Gesetzgeber hat ihn so angelegt, dass er nur die veränderten Mietabschlüsse in den letzten 4 Jahre berücksichtigt. Das bedeutet in der Realität:
1. Ein neuer Mietspiegel liegt immer über dem Niveau der bisherigen Bestandsmieten.
2. Zu den geänderten Mieten zählen auch Neuvermietungen. Statistisch werden jährlich etwa 8 % aller Wohnungen neu vermietet. Diese Neumieten unterliegen keiner Regelung und können frei vereinbart werden. Sie gehen also überproportional in die Statistik des jeweils neuen Mietspiegels ein.
3. Die Modernisierungsumlage auch für energetische Sanierungen gehen ebenfalls in die Statistik ein, obwohl alle anderen von dieser Modernisierung gar nicht betroffen sind. Eine Mieterhöhung als Anpassung an einen neuen Mietspiegel ist immer zugleich auch die Grundlage für die Steigerung des nächsten Mietspiegels. Und der Mietspiegel ist im Abstand von 2 Jahre der Marktentwicklung anzupassen. Nach 4 Jahren ist er neu zu erstellen. Allerdings gilt der Mietspiegel nur für den freifinanzierten Wohnungsmarkt, also nicht für Genossenschaftswohnungen. Das hindert aber einige Genossenschaften nicht daran, dem Trend der Mietpreisentwicklung zu folgen. Eine zweite Möglichkeit der Geldanlage ist der Erwerb von Eigentumswohnungen und Immobilienobjekten zum Zwecke der Vermietung oder des Weiterverkaufs nach erfolgter Wertsteigerung. Das ist zwar der riskantere Teil der Kapitalanlage, aber die Rendite dürfte deutlich höher liegen. Mit dem lauten Ruf nach mehr Wohnungen in Jena wird auch dieses Geschäftsfeld stärker angekurbelt. Die Stadt Jena beteiligt sich mit hohen Grundstückspreisen und den lukrativen Rest dieses Geschäfts übernehmen Bauträgerunternehmen, die dann selbständig oder über Makler vermarkten.
An diesem Geschäft beteiligen sich auch Genossenschaften, die dort eigentlich nichts zu suchen hätten. Die Heimstätten-Genossenschaft ist über das Tochterunternehmen der Heimstätte Verwaltungsgesellschaft involviert und die Wohnungsgenossenschaft Carl Zeiss schickt gleich zwei ihrer Töchter ins Rennen: Die WG Vermietungs GmbH als eigenständiger Provitcenter und die Rautal-Holding, die verstärkt als Bauträger eigene Immobilienprojekte über Annoncen vermarktet.
Was heißt denn freifinanzierter Wohnungsmarkt in Jena?
Genossenschaftswohnungen gehören eindeutig nicht dazu. Kommunale Wohnungsgesellschaften wurden ursprünglich gegründet, um soziale Aufgaben der Kommunen für ihre Bürger in Eigenregie zu lösen und dieses Problem nicht dem freien Markt zu überlassen. Die Immobilien wurden auch nicht privat, sondern gesellschaftlich finanziert. Das hat sich etwas gewandelt. Einige Städte haben ihren Wohnungsbestand mittlerweile komplett verkauft. In Jena sind die Immobilien von Jenawohnen in das Eigentum der Stadtwerke Energie überführt worden, die als GmbH gewinnorientiert arbeitet, aber immer noch zu 64,1 % der Stadt Jena und zu 5,9 % der Stadt Pößneck gehören. Der Wohnungsbestand wurde also nur zu einem Teil dem freien Markt überlassen. Schon deshalb kann bei Jenawohnen von freifinanziertem Wohnungsmarkt also nicht die Rede sein. Hinzu kommt noch ein Teil der älteren Siedlungswohnungen, die sich in Stiftungseigentum befinden – also auch nicht den Status “freifinanziert” erlangen können.
Für wen gilt denn dann der Mietspiegel uneingeschränkt?
Eigentlich betrifft das nur die Jenaer Altbauten, die nach den statistischen Angaben 31 % des Wohnungsbestandes ausmachen und Neubauten ab 1990, die nicht zum Eigenbedarf errichtet wurden. Die Statistik spricht hier von 17 % an kleinteiligem Neubau in Jena. Der Anteil der vermieteten Wohnungen kann nur geschätzt werden. Bei den Altbauten dürfte das etwa die Hälfte sein, bei Neubau ab 1990 deutlich weniger. Nach diesen strengen Kriterien unterliegen in Jena eigentlich nur etwa 20 % des Wohnungsbestandes, das sind ca. 11.000 Wohnungen, den Vorgaben des Mietspiegels. Alle andern sind genossenschaftlich, gesellschaftlich, durch soziale Betriebseinrichtungen oder privat für den Eigenbedarf finanziert.
Wem gehören die Gewinne bei gesellschaftlich und genossenschaftlich finanzierten Wohnungen?
Die Immobilienwirtschaft spricht von 5 bis 8 % Gewinn im Immobiliengeschäft. Das trifft auch zu, wenn eine Immobilie als Anlageobjekt erworben wird. Nach den Gesetzen des Marktes hat sich das finanzielle Engagement nach etwa 25 Jahren amortisiert. D.h. die Ausgaben sind im vollen Umfang zurück geflossen. Und das völlig unabhängig davon, ob das Objekt selbst erbaut oder käuflich erworben wurde. Bei einem Mietobjekt erfolgt der finanzielle Rückfluss durch die Mieteinnahmen. Die Höhe ist so bemessen, dass davon alle Unkosten bestritten werden, die Rückzahlungen an die Bank und die Zinsen enthalten sind und eben die erwähnten 5 – 8 % als Gewinn noch übrig bleiben. Ein faires Geschäft eigentlich.
Aber was, wenn die Kredite nach 25 Jahren getilgt sind?
Die Unkosten zum Erhalt der Bausubstanz und zu deren Verwaltung liegen laut den Normvorgaben des sozialen Wohnungsbaus noch deutlich unter 2,00 Euro je qm und Monat! Der gesamte Restbetrag zur tatsächlichen Mietforderung ist dann also reiner Gewinn. Bei Jenawohnen wird etwa im Jahre 2020 diese Situation genau so eintreten. Der vorgesehene Neubau ändert daran nichts, denn jedes Immobilienobjekt wird unabhängig kalkuliert. Die anvisierte Miete von 8 bis 10 Euro in den neuen Vorhaben wäre ja sonst auch nicht zu begründen.
Es wäre interessant zu erfahren, wie Politiker und Verantwortliche der Stadt mit dieser Situation umgehen. Vielleicht stellt man sich ja vor, dass die Mieter von Jenawohnen dann verstärkt den Stadthaushalt sanieren? Den der Stadt Pößneck natürlich auch und die privaten Gesellschafter der Stadtwerke Energie freuen sich über den üppigen warmen Geldregen.
Eine Übersicht zur Entwicklung bei Jenawohnen und ausgewählten Genossenschaften:
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Für die Jenaer Wohnungsgenossenschaften trifft die Entschuldung natürlich ebenfalls zu! Die meisten konnten den Zeitpunkt der Entschuldung auf Anfrage ganz konkret nennen. Die große Ausnahme ist die Wohnungsgenossenschaft Carl Zeiss. Dort steigen die Schulden gegenüber den Banken und der internen Spareinrichtung eher an. Die abfallende Zinslast resultiert lediglich aus der Niedrigzinspolitik der Banken. Die Frage: “Wem gehören die Gewinne?” lässt sich dort gar nicht stellen. Offensichtlich fällt die Einnahmen/Ausgaben-Bilanz der letzten Jahre (einschließlich 2013) eher negativ aus.
Alle anderen Genossenschaften stehen ab dem Jahr 2020 natürlich gegenüber ihren Mitgliedern und zugleich auch mit ihnen gemeinsam vor einem Klärungsproblem. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass etwa 50 % des gesamten Jenaer Wohnungsbestandes betroffen sind, weil Jenawohnen und die Genossenschaften eben über diese Menge an Wohnungen verfügen. Dann kann man die stadtpolitische Brisanz dieser Situation erahnen. Falls man sich entschließt, die zusätzlichen Einnahmen denen tatsächlich auch wieder zuzuführen, die diese Mittel erarbeitet und erbracht haben, muss das eigentlich zu einem Zusammenbrechen des Jenaer Immobilienmarktes führen. Nachhaltiger und vielleicht sogar früher als die vorgesehene Überflutung des Jenaer Marktes mit Neubauten!
Wer traut sich, gegen den Strom zu schwimmen?
Keiner möchte der Erste sein, der in das gut etablierte Netzwerk des Jenaer Immobilienmarktes eingreift. Obwohl eine kommunale Immobiliengesellschaft und ein genossenschaftlicher Eigentümer gegenüber seinen Mietern und Mitgliedern genau diese Verpflichtung hätte. Die gesellschaftlichen Strukturen und Parteien sind auffällig schweigsam und verweisen als Alibi auf den Mietspiegel, den sie selbst im Stadtrat beschlossen haben und von dem sie meinen, er gelte jetzt für alle Mieten in Jena.
Dem ist nicht so! Aus der sozialen Verantwortung gegenüber den Bürgern sollte man die Verantwortlichen der Stadt und das Unternehmen “Jenawohnen” nicht entlassen, auch wenn sich dort in geringem Umfang bereits private Gewinninteressen festgesetzt haben. Deutlich stärker sind Genossenschaften an den Interessen der Mitglieder orientiert. Eine private Gewinnorientierung fehlt dort vollständig. Gelegentlich fühlen sich die Vorstände ganz persönlich als Eigentümer des Unternehmens und lassen den ursprünglichen Genossenschaftsgedanken aus dem Blickfeld geraten. Etwa so formuliert es eine Empfehlung des zuständigen Bundesministeriums zur Arbeit von Genossenschaften aus dem Jahre 2005 und mahnt verstärkt die Rückbesinnung auf den eigentlichen Förderauftrag an.
Eine Genossenschaft kommt von ihrem Charakter her viel eher in die Nähe einer Bauherrengemeinschaft. Als Modell sollte man sich vorstellen, dass sich eine Gruppe interessierter Wohnungsbauer findet, um gemeinsam ein Wohnprojekt zu errichten. Als Eigentumsform für ihre Aktivitäten wählen sie die Form einer Genossenschaft. Für den finanziell weniger Bemittelten hat das solidarische Vorteile, der Stärkere profitiert zusätzlich von der Kraft der Gemeinschaft. Jeder einzelne Bauherr kalkuliert sein Projekt so, dass er im fortgeschrittenen Lebensalter die Bauschulden getilgt hat. Warum sollte das bei einer Bauherrengemeinschaft, die sich dem Genossenschaftsstatus unterwirft, anders sein? Die Mehrheit der Jenaer Genossenschaften ist im Sinne des Förderauftrages auf Minimierung der Kosten und auf Entschuldung orientiert. Der Mietspiegel ist dort nur ein rechtlicher Rahmen, um sich dem Ziel zu nähern. Aber werden sie auch den Mut finden, sich gegen den vorgegebenen Trend zu stemmen?“