weiterer Polizei-Terror in der Rigaer Straße

Am Sonntag stürmte die Berliner Polizei erneut das Hausprojekt Rigaer94. Als vorgeschobener Grund hält ein Müllbeutel her, der angeblich auf die Polizisten geworfen wurde, die zu diesem Zeitpunkt schon behelmt im Haus standen. Während die Rigaer94 sich weiter kämpferisch gibt, dementieren Anwohner_innen die Polizeiversion.

Bereits am Mittwoch kam es zu der martialischsten Durchsuchung, die Berlin in den letzten Jahren erlebt hat, als SEK-Teams, unterstützt durch mehrere Hundertschaften mit schwerem Gerät, das Hausprojekt stürmten. Bereits hier haben sich die verantwortlichen Befehlshaber_innen auf mehr als dünnes Eis begeben, was ihre rechtlichen Grundlagen angeht.

Abstrakt wird in den Medien als Auslöser die Auseinandersetzung zwischen einem Kontaktbereichsbeamten und vier Autonomen angegeben. Die rechtliche Grundlage leitet sich alleine aus dem ASOG her und kann jederzeit überall angewandt werden, wenn es nach der polizeilichen Interpretation dieses Gesetztes geht. Zum Beweis: der Pressesprecher verkündete zeitgleich zum Einbruch in das Haus, das nicht davon ausgegangen würde, Täter oder Beweismittel zu finden. Es würde nur eine „Begehung“ durchgeführt, wonach keine Wohnungen durchsucht würden. Dass die Sturmtrupps dennoch mehrere Wohnungen aufbrachen und diese verwüsteten, legitimierte der Pressesprecher währenddessen dadurch, dass er es als polizeiliches Fehlverhalten bezeichnete.

Es besteht kein Zweifel, dass sich die politische und polizeiliche Führung in den letzten Monaten des Gefahrengebiets diesen Plan zurechtgelegt hat. Bei der Überlegung, wie dem „rebellischen Kiez“, in dem autonome Lebensentwürfe über einen konkreten Ort verfügen, beizukommen sein könnte, musste das eigene Recht gebeugt werden. Es konnte einfach kein legaler Weg gefunden werden, wie ansässige Bewohner_innen, die zu klug sind um per Strafverfolgung besiegt zu werden, „befriedet“ werden könnten. Die Lösung wurde im ASOG gefunden, das auch schon nach gängiger Auslegung der Polizei Sonderbefugnisse, die den zivilen Rahmen sprengen, zur Verfügung stellt. Kernpunkt des Masterplan, der mit einem Paukenschlag eröffnet wurde, ist die Behauptung, dass es überhaupt kein Problem sei, Häuser und Wohnungen ohne richterlichen Beschluss zu stürmen. So brach die Polizei in den Tagen nach der Razzia in der Rigaer94 in zahlreiche Häuser im Friedrichshainer Nordkiez ein. Darunter die Liebig 15, die Liebig 16, die Samariter 32, die Rigaer 93, 95 und 96. Dort klaute sie Gegenstände wie Stangen und Feuerlöscher, die neuerdings als gefährlich eingestuft werden. Sie verschafften sich außerdem Zutritt zu sämtlichen Dächern der Umgebung, demontierten diverse Aufbauten und filmten von dort in Wohnräume. Zeitgleich fanden Personenkontrollen in einem Ausmaß statt, das Berlin bisher noch nicht gesehen hat. Die Befugnisse der Polizei wurden dabei so weit ausgelegt, dass sogar Personen aus Kneipen und Geschäften gezogen wurde, um sie zu untersuchen.

Doch schwadronieren wir nicht weiter über rechtliche Befindlichkeiten. Die autonomen Strukturen des Viertels sind dafür bekannt, dass sie vom Rechtsstaat nichts halten. Wieso das Sinn macht, hat die Polizei nun wiederholt bewiesen, als sie wegen einem gespendeten Müllsack am Sonntag wieder in die Rigaer94 einbrach. Aus einer satirischen Aktion auf das Müllsammelverhalten der Möchtegern-BSR in Kampfmontour wurde per richterlichem Beschluss eine versuchte, wahrscheinlich gefährliche, Körperverletzung.

Felix Herzog auf Twitter: „Zuvor wurde willkürlich von Polizei Mülltonnen durchwühlt – Anwohner genervt „Wollt ihr noch mehr“
Anschließend: Müllsack nach klarer Vorwarnung fallen gelasssn – 5m neben Polizei gelandet – Kippe aufgeraucht > gestürmt

Die Bewohner_innen des Hauses hatten protestiert, weil die Polizei die Verriegelungen der vorderen Eingangstür mit der Begründung des Brandschutzes demontiert hatte. Eine Farce, nachdem in der Mittwochs-Razzia sämtliche Feuerlöscher geklaut wurden, obwohl wenige Monate zuvor die Liebig34 angezündet wurde und am Donnerstag organisierte Nazis der Angriffsrhetorik der Parteien gefolgt sind, welche der geistigen Brandstiftung stets mit mörderischen Angriffen zu einer sinnvollen Ergänzung verholfen haben. Im Hof der Rigaer 94 war während den polizeilichen Vorbereitungen auf die erneute Stürmung am Sonntag deutlich zu hören, was die Bewohner_innen von der Polizei halten. Die Einsatzkräfte wurde konsequent als Schweine beschimpft, da sie dabei mitwirkten wie Flüchtlingsunterkünfte angezündet würden und währenddessen in einem antifaschistisch geprägten Stadtteil den Staatsterror in den Alltag brächten.

Die Anwohner_innen des Viertels sind ehrlich wütend über die martialische Invasion der Polizei, die seit Mittwoch begonnen wurde. In den letzten Tagen hat sich gar eine Verschworenheit unter der sonst teils kritisch-solidarischen Anwohnerschaft herausgebildet. Wer sich auf der Straße begegnet, redet über die Schikanen und über den bisher noch humorvollen Widerstand. Die meisten rechnen auch damit, dass sich der Generalstab darauf eingerichtet hat, die Eingreifschwelle und die Provokationen für eine längere Zeit aufrecht zu erhalten. Es wird außerdem in der Presse darauf vorbereitet, dass in nächster Zeit in Berlin Räumungen in den anarchistischen Strukturen anstehen.

Doch es betrifft nicht nur die „Zecken“. Eine Nachbarin der Rigaer94 vermutet in der Razzia den Auftakt zu einer „politisch motivierten Polizeiinvasion“, die dafür sorgen solle, „dass der Kiez aufgewertet wird“. So wie es die Polizei öffentlich und schamlos verkündet hat: die selbstverwalteten und rebellischen Strukturen sollen durch Mieterhöhung und Aufwertung verdrängt werden. Wer jetzt nicht kämpft, hat die Ansagen der Polizei wohl überhört. Denn falsch zu verstehen gibt es daran nichts.

A propos: was macht eigentlich die Hauptstadtszene? Lange war es ruhig geworden um das Thema Gentrifizierung. Es gibt zwar immer wieder punktuelle Auseinandersetzungen, doch der Szene fehlt es an konkreten Schauplätzen, an Orten und an selbstgewählten Gelegenheiten. Auch nach der Razzia gegen das, neben der Köpi, berüchtigste Hausprojekt Berlins blieben die Massen auf der Strasse aus. Entweder herrscht eine große Gelassenheit ob der peinlichen Versuche der PR-Strategen aus Politik und Polizei, den Kiez zu skandalisieren, oder aber es ist niemand mehr bereit, außerhalb von Twitter und Co. die Solidarität praktisch werden zu lassen. Für die Menschen hier scheint es jedoch klar, dass der Kampf hier noch sehr konkret ist. „Anders als in vielen Gebieten wird hier die strukturelle Gewalt offenbar, da es einen deutlich spürbaren Widerstand gibt, von dem wir ein Teil sind“, so einer der von der Rigaer94 veröffentlichten Texte. Noch wird mit Witz gegen die aggressiven Aktionen der Polizei gekontert. Doch es ist die Frage, wie lange es lustig sein kann, wenn das eigene Viertel zu einer No-Go-Area wird. Ein bisschen macht es den Anschein, als ob die Strukturen hier noch zögern, ob wirklich der Rote Knopf gedrückt werden muss. Bei den gewaltsamen Drohungen, die nicht nur gegen diesen Kiez ausgesprochen werden, sondern auch gegen den M99 in Kreuzberg und die Friedel54 in Neukölln, könnte es jedoch ein Fehler sein, zu lange abzuwarten. Was haben wir zu verlieren? Ist die Gefahr, die bittere Realität der Mobilisierungsfähigkeit zu erkennen, größer, als sang- und klanglos ein Stück Hoffnung nach der anderen zu verlieren? Wer weis, vielleicht hat es auch so lange in den Menschen gebrodelt, dass es nur einen Funken braucht, um den ganzen Laden mal wieder ordentlich hochgehen zu lassen wie bei der Räumung der Liebig 14.

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