Aktionsbericht der Gruppe Pekari
Die linke Basisgruppe Pekari hat einen Aktionsbericht veröffentlich.
Zur Dokumentation wird er hier abgebildet. Um Missverständnisse zu vermeiden, ist zu betonen, dass die Besetzung nicht von Pekari organisiert wurde.
„STADT IN AUFRUHR – Hausbesetzung und Stadtrundgang wirbeln Jenas Innenstadt auf
Ein Selbstverwaltetes Zentrum für Alle!
Gestern war kein normaler Montag: Mitten in Jenas Innenstadt, wo für die Einen gerade die neue Arbeitswoche und die Anderen ein neues Semester angebrochen war, wurde am Nachmittag von zahlreichen Aktivist*innen ein leerstehendes Haus besetzt. In den Wänden der Carl-Zeiss-Straße 10 sollte ein selbstverwaltetes Zentrum entstehen und vor dem Haus schaffte eine Dauerkundgebung mit zeitweise über 100 Menschen und eine selbstorganisierte Info- und Infrastruktur eine Basis für gemeinsames Vorgehen und Aktionen. In den Morgenstunden wurden heute die verbliebenen Aktivist*innen, die sich noch vor oder im Haus befanden, von anrückenden Polizeikräften vertrieben und das Haus wieder verrammelt.
Der Traum vom in Jena seit Jahren schmerzlich vermissten Autonomen Zentrum, ist jedoch schon gestern geplatzt: Von Seiten der Hauseigentümerin – die Ernst-Abbe-Stiftung – wurde verlautet, man sei zwar grundsätzlich für Verhandlungen offen, jedoch nur solange das Haus bis zum Abend wieder verlassen werde. Außerdem wurde in den Gesprächen schnell deutlich, dass die Eigentümer*innen nur solange mitspielen würden, wie sich die Vorschläge zur zukünftigen Nutzung des Gebäudes im Koordinatensystem von Innovation bis Wissenschaft befänden. Unsere Aktivitäten sollten also vor allem den Stiftungsprinzipien Rechnung tragen. Soviel zum Thema Selbstverwaltung.
Wir lernen mal wieder eine für Jena typische Lektion: Was sich mit dem Image nicht vereinbaren lässt und was sich nicht entsprechend vermarkten lässt, bekommt in Jena keinen Raum. Unser gemeinsames Ziel, aus einem leerstehenden, vergammelnden Haus einen lebendigen Raum für politische Organisierung, ein selbstorganisierten Treffpunkt für gegenseitige Unterstützung und Solidarität, einen Ort der Schutz bietet vor rassistischer und sexistischer Übergriffigkeit im Alltag zu machen, ist eben nicht das Ziel von Stiftung oder Stadt.
Die erneut unter dem lokalen Besetzer*innen-Label „Wolja“ gelaufene Aktion in der Carl-Zeiss-Straße 10 reiht sich ein in die Besetzung vom 06. Dezember 2013 in der Neugasse 17, sowie jene vom 1. Juli 2014 in der Carl-Zeiss-Straße 11 ein, wo nur eine Tür weiter bereits vor über zwei Jahren versucht wurde durch autonome Raumaneignung ein selbstverwaltetes Zentrum zu erkämpfen. Auch nach diesem Scheitern wird die Geschichte von Hausbesetzungen “linksradikaler Vagabunde” (Wiebke Mühsal) in Jena hoffentlich weiter ihren Lauf nehmen. Die Suche nach neuen Mitstreiter*innen und Allianzen außerhalb der eigenen Milieu- und Szenegrenzen könnte dafür neue Perspektiven schaffen und vielleicht ein vielversprechender Neuanfang sein.
Eine Stadt für Alle!
Innerhalb weniger Tage ist die Hausbesetzung von Montag schon der zweite Riss im Alttagsleben auf Jenas Straßen: Bereits Samstag hatte der kritische Stadtrundgang im Rahmen der Alternativen Orientierungstage (ALOTA) auf seiner Route gut sichtbare Spuren hinterlassen und aufgezeigt, wo die selbsternannte „Lichtstadt“ Jena ihre Schatten wirft – nämlich überall dort, wo die Imparative von Wachstum und Profit verhallen und Menschen nicht ins City-Image von Unternehmertum und Wissenschaft passen.
„Stadt für Alle!“ ist deshalb nun in der Innenstadt auf Plakaten und Gehsteigen zu lesen und macht sowohl auf den mit der Hausbesetzung aufgegriffenen Mangel an selbstverwalteten Kulturräumen und politisch-sozialen Zentren aufmerksam, als auch auf die Situation von abschiebebedrohten und/oder wohnungslosen Geflüchteten, steigende Mietpreise und Verdrängung.
Geflüchtete, Geringverdiener*innen, politische und kulturelle Aktivist*innen – wir alle haben unterschiedliche Problem- und Lebenslagen, aber dennoch eines gemeinsam. Wir haben derzeit an dem Ort, an dem wir leben, in der Boomtown Jena, nichts zu melden und teilen damit das gemeinsame Interesse der neoliberalen Stadtpolitik und -entwicklung, die nur sieht, was glänzt und sich verwerten lässt, etwas entgegenzusetzen: unser Recht auf Stadt und ein gutes Leben für Alle. Suchen wir also den Konflikt mit der Stadt und schaffen wir sie am Besten gleich neu, sowie gestern in der Carl-Zeiss-Straße und bald an jeder Ecke!