Na hören sie mal! Was tun sie denn da? Sowas macht man doch nicht! – eine kurze Reflexion zur Infragstellung und Unterwanderung des Alltagsverstandes
(Wie alle hier veröffentlichten Texte zu verstehen als eine reflektierte Einzelmeinung zu verstehen und darum in der Ich-Form geschrieben)
Immer und immer wieder müssen wir uns solcherlei Sätze gefallen lassen, wenden oder wandten wir sie selbst schon an, um die soziale Ordnung in dieser Gesellschaft (wieder)herzustellen und aufrecht zu erhalten. Interessanterweise verstehe ich mich persönlich, mit meinen sehr speziellen Ansichten, mit denen ich aber glücklicherweise nicht alleine dastehe, weder als ein_e Verteidiger_in der bestehenden Ordnung noch mit jener Befugnis ausgestattet, alle Werte einer Umwertung unterziehen zu können. Wenngleich mir nach Letzterem in meinen depressiven oder euphorischen Momenten oftmals der Sinn steht, bin ich jedoch auch skeptisch gegenüber den einfachen Erklärungsansätzen, die mir hier und da angeboten werden.
Zu viel Geschichte, zu viel Scheitern, zu viel gesunde Skepsis, zu viel Wissen um die gesellschaftlichen Verhältnisse, aber doch zu wenig um sie, um meinen eigenen teilweise widersprüchlichen Gedanken mehr als nur den selbstbewussten Anschein von Einheitlichkeit zu verleihen, stehen zwischen mir und der alles schlagenden Begründung: „Weil das nun mal so ist!“. Vielleicht handelt es sich auch um eine, möglicherweise falsche, Toleranz anderen Ansichten gegenüber, dem Wissen um deren Einbettung in ganz bestimmte Kontexte und nicht weniger meiner eigenen spezifischen Position und gewordenen Person, die mich einfach nicht glauben lassen, dass die Dinge nun mal so sein sollen, wie sie sind, auch wenn sich das für andere so darstellt.
Deswegen möchte ich, als (Kategorien bilden und Verfassungsschutz einschalten!) Linksradikale_r, gerne unter anderem ein Haus besetzen und mir einfach nicht mehr anhören müssen, dass ich damit keine Werte vertreten würde. Im Gegenteil, ich vertrete allerhand Werte. Solche wie Solidarität, freiwillige Assoziation und Selbstorganisation zum Beispiel. Nur, dass ich diese nicht mittels des Staates oder des erweiterten Staates, der bis in den Nachbarn und mich selber hineinreicht, jemandem aufzwingen möchte oder kann, sondern dieser grundfalschen Vorstellung anhänge, Menschen mit Argumenten überzeugen zu können.
Argumente sind dabei allerdings nicht nur Worte. Dass mensch leichter und unbeschwerter lebt, wenn er oder sie einfach stets die Klappe hält, anstatt mal gegen die Missstände in dieser Gesellschaft aufzubegehren, ist ein Argument dafür, weg zu schauen oder mit zu laufen. Dass ich für die Teilnahme an einer Demo, wo ich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war, trotzdem potenziell viele Monate Knast und eine saftige Strafe kassieren kann, ist ein Argument gegen meine Teilnahme dort. Dass ich, wenn ich ein Haus besetze, eventuell darauf reduziert werde, meine Forderungen hießen, dass die Mieten niedriger sein sollen oder das es in der Stadt zu wenig „Kultur“ gäbe, ist ein Argument dafür, dass ich gar nichts weiter fordere und dieses Haus einfach besetze, das heißt, seine Nutzung beanspruche.
Argumente für sich genommen bedeuten gar nichts wenn jene, die ich überzeugen will, sie nicht nachvollziehen wollen, können oder dürfen. Von den guten Argumenten zu einem Autonomen Zentrum in Jena ist es dann noch einmal ein viel weiterer Schritt. Wer weiß, vielleicht ist es aber dennoch ein zielführender Ansatz (neben anderen, wie dem angeblichen Bau von Molotowcocktails oder welcher Schwachsinn einem dann sonst wieder unterstellt werden wird), bei der Überzeugungsarbeit am Alltagsverstand der Menschen anzuknüpfen, also ganz subversiv das bürgerlich-kapitalistische Bewusstsein zu untergraben; sich dabei noch ganz im Rahmen der seltsamen Eigentumsvorstellungen des common sense bewegend:
„Na hören sie mal! Was tun sie denn da? Sowas macht man doch nicht!“. Einfach Häuser besetzen (oder was halt sonst) und so. Das geht ja mal gar nicht. Lachend, fragend, vorwurfsvoll kann ich nun mit vollem Selbstbewusstsein entgegen: „Na hören sie mal, warum beuten sie ihre Arbeiterinnen und Angestellten denn dermaßen aus?“. „Was tun sie denn da? Hat ihnen jemand ins Gehirn geschissen, dass sie diese Häuser da leerstehen lassen um den Mietspiegel hochzutreiben, damit sie ihre verfluchte Spekulation endlos weiter treiben können?“. „Kann es sein, dass dieses Haus uns gehört? Warum haben sie dann alle Türen und Fenster dort vernagelt, sodass gar niemand mehr rein kann? Sowas macht man doch nicht!“. Um die subversive Regressivität dann noch auf die Spitze zu treiben fehlte nur noch die Forderung: „Bratwurst bis zum Kommunismus“.
Nein, nein, mit Argumenten kommen wir nicht an ein besetztes Haus. Wobei an dieser Stelle erneut gesagt sei, dass es nicht um ein Haus um des Hauses Willen gehen soll. Jenes hat keinen Willen. Aber die Menschen, welche ihre potenziell emanzipatorischen und als solche zu entwickelnden Tätigkeiten in Richtung befreiter Gesellschaft lenken wollen. Dennoch werden wir, schätze ich, uns immer und immer wieder der vielen Argumente bedienen, welche wir auf unserer Seite wissen und durch die wir zu unseren Ansichten gelangt sind.
Neben gewissen Vorstellungen von und der Sehnsucht nach einer lebenswerten Zukunft, die noch keineswegs revolutionär sind und auch nicht sein müssen, erwachsen unsere Argumente aber zunächst vorrangig aus dem negativem Denken, das heißt aus der begründeten Ablehnung dieser Gesellschaft. Der Witz dieser Erzählung hier und die Anwendung von Phrasen des Alltagsverstandes hören deswegen an der Stelle auf, wo in Jena eine neue Rüstungsfabrik gebaut wird; wo die notwendige antikapitalistische, ökologische Transformation ausbleibt, welche den Klimawandel bremsen könnte; wo Flüchtlinge an den Grenzen Europas erschossen, in Deutschland ermordet und abgeschoben werden; wo die „Argumente“ von Nazis und Rechtspopulisten immer mehr Gehör finden; wo unsere Freiheit in Ketten liegt.