Erklärung zur Hausbesetzung der Carl-Zeiss-Straße 11
Wir leben in einer zwangsbefriedeten Gesellschaft. Weltweit und hier wird Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung legitimiert oder unkenntlich gemacht. So kann Mensch sich selbst und anderen den Eindruck herbeifantasieren, seine Privilegien und die damit verbundenen Vorteile wären legitim.
Darüber hinaus werden Gründe für „persönliches Scheitern“ nicht bei gesellschaftlichen Verhältnissen gesucht, sondern Individuen zugeschrieben, welche dies auch annehmen und sich selbst in dieser „Schuld“ sehen. Tatsächlich kann so bei der Mehrheit die Vorstellung bestehen bleiben, mit dieser Gesellschaft sei doch im Großen und Ganzen alles in bester Ordnung.
In bester „Ordnung“ – Was ist dann dieses Haus in dieser Stadt?
Doch wie zeigt sich diese Akzeptanz und der gesellschaftliche Zustand konkret? Er zeigt sich zum Beispiel darin, dass es niemanden stört, dass Wohnraum zu sogenanntem „Privateigentum“ gemacht wird. Menschen mit dem Bedürfnis nach Wohnraum werden von dessen Nutzung erst ausgeschlossen, um sich dann für ein „passendes“ Ausbeutungsverhältnis (Mietvertrag) bewerben zu dürfen. Mehr noch scheint es „normal“ zu sein, Häuser leerstehen zu lassen, obwohl Menschen das Bedürfnis nach Wohnraum äußern und durch die Raumknappheit in prekäre Lagen und an den Rand gedrängt werden.
„Obwohl“? – Vielleicht ist genau diese Raumknappheit und die Verdrängung von Menschen nicht nur Folge, sondern zugleich die notwendige Voraussetzung für Kommerzialisierung und Privatisierung.
Dieses (leerstehende) Haus ist für uns deshalb gleichsam Gewalt gegen Menschen, Symbol und manifester Gegenstand der Eigentumslogik. Zugleich ist es Bestätigung dafür, dass die Bedürfnisse der Menschen, gemessen an der Erfüllung der Sachnotwendigkeiten der kapitalistischen Verhältnisse, einen Dreck wert sind.
Mehr Widersprüche, bitte!
Trotz dieser kritischen Analyse bewegen wir jeden Tag diese Gesellschaft – vorwärts im selben Gleis. Wir zahlen Miete, akzeptieren Eigentum und Ausbeutung – von uns selbst und unseren Mitmenschen, wir lassen uns verwerten und treiben durch unser Funktionieren in den Verhältnissen die Verwertung anderer voran. Wir sind Teil des Problems. Können wir auch Teil der Lösung sein?
Wir machen uns bewusst, dass wir als Weiße Student*Innen von vielen Machtstrukturen bevorteilt werden und uns weniger Hürden in den Weg gelegt werden, um sie anzugreifen. Aus diesem Grund haben wir mehr Möglichkeiten, widerständig auf diese Ordnung zu reagieren – die Konsequenzen treffen uns weniger hart als beispielsweise die brutal geräumten Geflüchteten der besetzten Schule in Berlin-Kreuzberg. Doch gerade weil wir von Verhältnissen gleichzeitig privilegiert, aber auch eingeschränkt werden, agieren wir dagegen und müssen es.
Von der Kritik zur Praxis.
Wir haben uns für die Besetzung entschieden, also für die Infragestellung von Eigentum. Es ist eine Grenzüberschreitung, die die bestehenden Grenzen erst sichtbar macht und überhaupt zeigt, was sie sind: Ausgrenzungspraxen und als solche notwendige, funktionale Teile eines größeren gesellschaftlichen Konflikts um Privilegien und Macht in kapitalistischen Verhältnissen, in dieser sogenannten „Ordnung“ eben.
Was hat das mit Dir zu tun?
Diese Aktion ging bis jetzt von uns aus, sie repräsentiert unseren Widerstand und unsere Kritik. Damit ist sie beschränkt, da wir nicht für andere sprechen und kämpfen können. Dennoch hoffen wir, zu anderen Kämpfen gegen die Verhältnisse beitragen zu können. Wir tun dies, weil wir diese Zustände nicht länger (er)tragen wollen und ein Leben in einer Gesellschaft anstreben, die frei von allen Formen der Herrschaft, Diskriminierung, von Zwängen und Ausgrenzungspraxen ist. Wenn dies auch deine Ziele sind, kann diese Aktion auch deine sein. Dieses Haus kann niemandem „gehören“, sondern soll von allen genutzt werden, die sich in dieser Aktion wiederfinden und sie mitgestalten wollen. Wenn du willst, ist das hier unsere Besetzung.
Jetzt und zukünftig.
Seit unsere Ärsche in diesem Haus sitzen hat sich der reale und symbolische gewaltvolle Ausschluss in Widerstand gegen die bestehende Ordnung umgeschlagen. Wir verlassen deshalb dieses Haus nicht freiwillig. Durch eine Räumung kann diese Aktion mit allen ihren Folgen nicht ungeschehen gemacht werden. Doch im Moment ist es besetzt und solange es von uns allen gehalten wird, ist dieses Haus eine dauerhaft widerständige Herausforderung.
Mehr noch ist in diesem Haus Platz für Weiteres…. Es kann zu einem Ort werden, den wir selbst gestalten, wo wir einen Raum schaffen, der freier von Hierarchie, Kommerzialisierung und Diskriminierung ist als diese privatisierte Stadt in dieser unfreien, gewaltvollen Gesellschaft. Von hier aus können wir weitere Emanzipationssprozesse anstoßen und leben.
Ist das hier „cool“?
Diese Besetzung ist keine Revolution, aber auch keine Party. Sie ist ein winziger Aufschrei gegen die Gesamtscheiße. Nur im Zusammenhang mit anderen politischen Kämpfen und Aktionen vor, mit und nach dieser ergibt sie Sinn. Es ist das Gefühl der Emanzipation, der gemeinsamen Sache, der Hoffnung auf Neues und der Solidarität, welche euphorisiert und uns denken lässt: „Fett, endlich eine Besetzung!“. Diese Begeisterung teilen wir und hoffen, dass daraus Weiteres für die Sache entsteht.
Solidarisch – eure Besetzer*Innen