Gedanken zu Möglichkeiten der Raumaneignung

zwischendurch ein inhaltlicher Text zum Mit- und Weiterdenken. Weitere Veröffentlichungen folgen sicher.

Gedanken zu Möglichkeiten der Raumaneignung für links-emanzipatorische Politik in Jena

Analyse

Im Rechtsruck, den wir täglich beobachten – sei es durch den autoritärer werdenden Staat und die Obrigkeitsgläubigkeit, der Zunahme kapitalistischen Verwertungszwanges, der Militarisierung der Gesellschaft und faschistischer Bewegungen, die es mit der AfD auch in alle Parlamente geschafft haben – braucht es Räume zur Erhaltung und Weiterentwickelung links-emanzipatorischer gesellschaftlicher Alternativen. In derartigen Räumen, begegnen sich Menschen und entsteht gemeinsames Bewusstsein, teilen sie ihre Erfahrungen, geben sie ihr Wissen weiter, entwickeln sie gemeinsame Vorstellungen und Strategien und diskutieren sie kritisch. Der Ansatz selbstverwaltete Orte zu schaffen, an denen Menschen sich kritisch miteinander und der Gesellschaft in der sie leben auseinandersetzen, ist eine wesentliche antiautoritäre Strategie in der derzeitigen politischen Situation. Genau deswegen gilt es, sie kritisch zu diskutieren, sie weiter zu entwickeln, indem sie angewandt und ausprobiert wird.

In Jena gibt es kaum explizit linke, antiautoritäre, selbstverwaltete Räume:
– die „Insel“ stellt einen alternativen Feierort dar und ist akut vom Abriss bedroht
– vom „Haus“ gehen keine eigenen politischen Initiativen aus
– die „JG“ wird autoritär regiert und sich in zwei Jahren enorm wandeln
– das „Wohni“ ist wichtig, aber viel zu klein
– der geschlossene „Freiraum“ machte einiges möglich, ist aber kein linker politischer Raum
– der „Raum“ war ein super Projekt, der aufgrund des problematischen Eigentümers geschlossen werden musste
– die „Uni“ bietet einen einschränkenden Rahmen, der schwer angeeignet werden kann
– der „Infoladen“ hat nicht die Struktur, dass sich dort dauerhaft neue Gruppen finden und organisieren können

Dass der Bedarf an Räumen für unsere Leute kaum gedeckt ist, zeigt sich auch bei allen Auseinandersetzungen im Bereich der „Soziokultur“, die uns nur bedingt interessieren. Selbst die Kulturwachen-Initiative, welche mit unglaublicher Arbeit ein richtig gutes Konzept entwarf, scheiterte an der Ignoranz der Stadtverwaltung, die Notwendigkeit von linker Subkultur und politischen Orten anzuerkennen. Die Menschen am Inselplatz und andere bekommen es wiederum nicht hin, sich für ihre Interessen politisch zu organisieren.

Da von verschiedensten Zusammenhängen mit mühevoller Arbeit die vorgesehenen demokratischen Mittel genutzt wurden ohne dass dies irgendwelche Ergebnisse zur Folge hatte, ergibt sich die Notwendigkeit konsequenten politischen Handelns gegen Stadtverwaltung und Obrigkeit. Es gilt das vorhandene und legitime Interesse von verschiedenen Gruppen, die sich in der links-alternativen Szene bewegen zu artikulieren und damit die herrschende Stadtpolitik anzugreifen um ihr konkrete Räume abzutrotzen.

Potenziale

Die Stadt Jena stellt für Thüringen ein kreatives, innovatives und intellektuelles Zentrum dar. Dies ist auch der Grund, weshalb sie als Universitätsstadt viele Menschen anzieht, die alternativen und linken Gedanken und Lebensstilen nahe stehen, sie praktizieren und weiterentwickeln. Zumindest im Vergleich gibt es hier (gemessen an der Größe der Stadt und mit Beachtung der gesamtgesellschaftlichen Verbreitung) ein recht großes und lebendiges „links-alternatives“ Milieu. Noch wesentlich mehr als in anderen Städten ist die „Szene“ von Studierenden geprägt, welche aufgrund des Studiums nach Jena ziehen, sich hier oft wenig länger als drei bis fünf Jahre aufhalten und sich in dieser Lebensphase oft gerade erst politisieren. Gleichzeitig besteht aber ein reges Interesse an „linker“ Lebensgestaltung und Politik bei einer großen Anzahl von Menschen. Ebenso findet sich Tatendrang und die Lust, konkrete Projekte anzufangen – und sei es auf unbestimmte Zeit.

Aus diesen Gründen ist es gegeben, dass sich für ein selbstverwaltetes linkes Zentrum Menschen finden, welche dieses betreiben und nutzen werden. Ein Widerspruch zwischen dem oft begrenzten zeitlichen Aufenthalt in der Stadt und einem festen Ort besteht dabei nicht direkt. Im Gegenteil sorgt dieser bei einer echten selbstverwalteten Organisierung dafür, dass Strukturen und Inhalte nicht verkrusten, sondern fortwährend erneuert und weiterentwickelt werden können, wenn für Menschen die Möglichkeit besteht, schnell Anknüpfungspunkte zu finden. Insofern hat ein selbstverwaltetes linkes Zentrum in Jena auch das Potenzial Menschen überregional zu prägen und eine echte politische Basis darzustellen. Dies verlangt allerdings einen Zusammenhang an Menschen, welcher bereit ist, viel Zeit und Energie für dieses Zentrum einzubringen, sich also auch zu entscheiden, dieses zu einem wesentlichen Projekt zu machen. Das Problem der Exklusivität der „Szene“ muss dabei kritisch betrachtet werden, um das Zentrum für verschiedene Gruppen der Bevölkerung zugänglich zu machen.

Ziele

Hier wurde die Schaffung selbstverwalteter linker Räume als eine wesentliche Strategie für Linksradikale in der derzeitigen gesellschaftlichen Situation vorgeschlagen. Dies ist zu kritisch diskutieren. Denn so unmittelbar die entstehenden Beziehungen sind und tatsächliche Fortschritte in der lokalen Mikropolitik erzielt werden können, so schwierig ist es dennoch, den Einfluss auf die Gesellschaft insgesamt auszuweiten. Wiederum spricht dies nicht gegen die Errichtung eines solchen Zentrum, sondern wirft eher Fragen nach seiner Gestaltung auf. Trotzdem gibt es auch andere wichtige Politikfelder, die darüber nicht vernachlässigt werden dürfen. Selbstverwaltete Zentren stellen allerdings räumliche Basen dar, die erst eine breitere Organisierung ermöglichen. Ihre Wirkungsweise als alltäglicher Treffpunkt durch den Politisierung stattfindet ist nicht zu unterschätzen. Mit den folgenden aufgelisteten Nutzungsmöglichkeiten wird deutlich, worin welche Möglichkeiten selbst durch die Nutzung eines kleinen Hauses bestehen.

Naheliegende Nutzungsmöglichkeiten (von den derzeitigen lokalen Aktivitäten und Potenzialen abgeleitet) sind:

wöchentliche Treffen von zwei bis drei politischen Gruppen
monatliche Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen
monatliche Konzerte
zweiwöchentliche Barabende bzw. Soküs
wöchentliches Infocafé + Bibliothek
wöchentliches autonomes Seminar + Bibliothek
wöchentliche Öffnungszeiten des Materialverleih und Werkstatt
unregelmäßig: Treffen zur Organisierung von Protesten, Aktionen usw.
zweiwöchentliches Plenum der Orgagruppe des Zentrums
drei-vier Mal die Woche: Bandprobe

An Räumen braucht es dafür:
Gruppenraum
Inforaum + kleine Bibliothek
Barraum / kleine Bühne
Bandproberaum
Werkstatt
Materialraum
Toiletten

Wege

Zwischen radikalem politischen Ansatz und einer Wirksamkeit in weiteren Teilen der Bevölkerung besteht nicht zwangsläufig ein Widerspruch. Ein selbstverwaltetes Zentrum soll verschiedenen Gruppen und Menschen Raum bieten und macht keine Wertung zwischen „ernsthafter Politik“, „Sozialem“ oder „Kultur“ auf. Logischerweise sind der Zuspruch und die Akzeptanz bei größeren Teilen der Bevölkerung sehr begrenzt, was wiederum die Frage nach der optischen, inhaltlichen und organisatorischen Gestaltung der Räume aufwirft. Ein links-emanzipatorischer Raum ermöglicht trotz Barrieren erst den Kontakt mit Menschen außerhalb der diffusen „Szene“. Dies erfahren wir auch immer wieder, wenn wir in die Öffentlichkeit gehen. Nur dass unsere Wirkungsweise begrenzt ist, spricht keineswegs dagegen, wirkmächtig werden zu wollen. Dies bedeutet einen linken antiautoritären Populismus zu etablieren. Immerhin wird durch ein dezidiert politisches Zentrum weit mehr möglich als derzeit.

Besetzungsaktionen sind erfahrungsgemäß nicht der beste Weg, wenn es darum geht, mittelfristig an ein selbstverwaltetes Zentrum zu kommen. Gleichzeitig machen sie aber deutlich, dass Menschen bereit sind, etwas mehr zu wagen, wenn sie für ihre Interessen einstehen. Insofern weisen Hausbesetzungen auch auf die grundsätzlichen Problematiken von Verwertungszwang und autoritärer Stadtpolitik hin, was weitere Kritiken ermöglicht und die Stadtpolitik insgesamt angreift. Das Thema der Raumaneignung beinhaltet deswegen paradoxerweise beides: dass es um ganz bestimmte Räume für uns geht und im selben Zuge um die Frage, wer wie auf welche Weise Räume besitzt und nutzen kann. Singuläre Aktionen sind das eine, die dauerhafte Organisierung vieler Menschen für den politischen Kampf für ein selbstverwaltetes Zentrum etwas anderes. Oftmals stecken wir in der Situation, dass wenige Aktive sehr viel Arbeit in einzelne wichtige politische Arbeiten stecken und dabei über einen längeren Zeitraum enttäuscht werden oder völlig ausbrennen. Die Erkämpfung eines autonomen Zentrums muss deswegen ein politisches Vorhaben werden, was viele Menschen zu ihrem Ziel erklären und sich dafür einbringen, gerade weil es auch um ihre anderen jeweiligen Aktivitäten geht – sei es die Betätigung in einer politischen Gruppe, in einem Lesekreis, in der Werkstatt, vor oder hinter der Bar oder dem Bandproberaum. Dazu können ganz verschiedene Mittel angewendet werden, die Menschen sich nach eigenem vernünftigen Abwägen wählen. Aufgrund der oben dar-gestellten Situation scheint es auf jeden Fall geboten auch den rechtlichen Rahmen zu überschreiten um Druck zu erzeugen.

Inwiefern die politische Organisierung über einen längeren Zeitraum für die Raumaneignung in Jena gelingt, bleibt eine völlig offene Frage. Bisher gab es sie nur in Ansätzen. Singuläre und spektakuläre Aktionen können diese in keiner Weise ersetzen. Im schlimmsten Fall suggerieren sie „nach außen“, es gäbe eine linke Gefahr die faktisch nicht besteht, während sie „nach innen“, die Aktiven im Glauben wiegt, sich politisch sinnvoll zu betätigen, während sie ihrem Hobby nachgehen. Damit gewinnt niemand einen Blumenstrauß und alles bleibt beim alten. Im besten Fall politisieren sich durch gut durchdachte Aktionen Menschen, die den Symbolgehalt überschreiten und sich tatsächlich dauerhaft für die politische Erkämpfung eines Raumes gewinnen lassen oder auf andere Weise für emanzipatorisches Auseinandersetzung in ihrem Lebensumfeld inspiriert werden.

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