Drei Jahre nach der Prügelorgie: Stürmung der Kundgebung vor der besetzten Neugasse 17 am 7.12.2013 war rechtswidrig
Am 7.12.2013 wurde die besetzte Neugasse 17, das „Infocafé Wolja“, von einer Hundertschaft der Thüringer Bereitschaftspolizei geräumt. Zuvor wurde die angemeldete Solidaritätskundgebung vor dem Haus von den Bullen überrannt, wobei u.a. zwei Menschen zu Boden geworfen wurde, von denen einer danach in der Notaufnahme landete. Der Anmelder der Solidaritätskundgebung klagte daraufhin vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Gera gegen die Polizeimaßnahme.
Das Gericht erklärte heute schon zu Beginn der Hauptverhandlung, dass es der Klage hohe Chancen zuspreche, da zum Zeitpunkt der Stürmung durch die Polizei noch eine Versammlung bestanden haben dürfte. An dieser Auffassung änderte auch die Beweisaufnahme nichts. Die Vertreterin des Innenministeriums, Regierungsoberrätin Schrot, erklärte, dass die Kundgebung sich selber über Nacht aufgelöst hätte und daher das Überrennen gegen 11 Uhr am 7.12.2013 „Das Aussprechen und Durchsetzen eines Platzverweises nach § 18 Polizeiaufgabengesetz“ dargestellt hätte. Weiterhin hätte Oberbürgermeister Albrecht Schröter nach dem gescheiterten „Vermittlungsversuch“, also der Erpressung gegen die Besetzer, das Haus zu verlassen oder die BePo-Knüppel und ein Strafverfahren zu spüren zu bekommen, der Polizei gesagt, es bestünde keine Versammlung mehr. Als Herr der Versammlungsbehörde hätte dies den polizeilichen Zugriff legitimiert. Interessant ist hierbei, dass OB Schröter sich auf eine laut Polizeiakten nicht zur Kundgebung zugehörige unbekannte Person berief, die ihm ein Rotkohlessen angeboten und gleichzeitig die Anmeldung einer unter diesem unzulässigen Motto stehenden Kundgebung angezeigt habe. Weil er diesen „Anmeldungsversuch“ ausschlug, könne laut Darstellung des Innenministeriums keine schützenswerte Versammlung vor der Neugasse 17 bestanden haben – entgegen der Tatsache, dass sich bereits eine Stunde zuvor der Anmelder der Kundgebung wieder bei der Polizei zur Anzeige der verlängerten Kundgebung gemeldet hatte.
Der einzige Zeuge, Kriminaloberkommissar Reichelt, konnte trotz seiner Rolle als faktische Nr. 2 in der damaligen Jenaer Polizeihierarchie nur soviel beitragen: Er sei einmal am 6.12.2013 um 22 Uhr und am 7.12. um 8 Uhr vor Ort gewesen und sei am 7.12. nicht mehr von einer Kundgebung ausgegangen. „Ob eine Versammlung vorlag, war für meine Einsatzkräfte aber auch egal. Darum habe ich mir nie Gedanken gemacht.“ fügte er offenherzig hinzu. Denn Ob Schröter hatte ja, als selbstherrlicher Führer der Jenaer Zivilgesellschaft zutiefst von der Abfuhr durch die Besetzer und die Solidaritätskundgebung gekränkt, de facto ‚Knüppel frei‘ (kein O-Ton) gegeben.
Die Richter*innenkammer ging mehrheitlich von einer seit dem 6.12.2013, 16 Uhr, bis zur Räumung bestehenden Versammlung aus. Dies machte sie an den mehrfach erneuerten Kundgebungsanzeigen gegenüber der Polizei und vor allem an den am Haus angebrachten und von den verbliebenen Kundgebungsteilnehmer*innen gehaltenen Transparenten fest.
Das Urteil ist formell noch nicht ergangen, da die Verwaltungsgerichtskammer dieses erst noch fassen und zustellen muss. Die Verhandlung endete jedoch mit der Stellungnahme seitens des Vorsitzenden, dass die Polizeimaßnahme für rechtswidrig befunden wird.
Was hat das für Konsequenzen? Keine. Die von der Maßnahme Betroffenen könnten nun höchstens erwägen, nochmal den müßigen Weg zivilrechtlicher Schadensersatzforderungen zu gehen. Dass die Klage Einfluss auf die Polizeitaktiken bei den Räumungen am 2.7.2014 und 18.10.2016 kann nur spekuliert werden. Fakt ist, dass bei den Folgebesetzungen viel Wert auf die Bekanntgabe der aufzulösenden bzw. zu verschiebenden Versammlung vor dem besetzten Haus gelegt wurde. Aber geprügelt wurde danach genauso, ohne Wenn und Aber. Dieses Prügeln würde auch der Richter der heutigen Verhandlung für völlig legitim halten; er feixte nämlich bei den Bildern von den zu Boden geprügelten Kundgebungsteilnehmer*innen: „Bei Platzverweisen gehts eben manchmal auch etwas ruppiger zu, nicht? Haha.“ Es ist natürlich ein rechtliches Argument mehr, das den Bullen hier und da wieder vorgehalten werden könnte, wenn sie wie üblich in Demos reinknüppeln. Auch intern wird der ganze Vorgang nicht nur für Lob in Richtung des damaligen Polizeichefs Treunert gesorgt haben. Insofern ist es, neben vielen anderen notwendigen Ebenen, ein Verdienst des Klägers und seiner Anwältin, sich dieses lähmende Verwaltungsverfahren bis zu Ende gegeben und damit auch Bullen und Innenministerium in eine längere Auseinandersetzung und Rechtfertigungsrolle gebracht zu haben. Es gilt wie immer, aus all diesen Vorgängen viel zu lernen, Wissen weiterzugeben und zu verbreitern und autonome Handlungsstrategien zu wagen und weiterzuentwickeln.