Jena: Hausbesetzung Jetzt – Wolja ist zurück!
Montag, 17. Oktober 2016Heute haben zahlreiche Aktivist*innen in Jena ein Haus besetzt. Gegen 14:30 öffnete sich die Pforte des Gebäudes in der Carl-Zeiss-Straße 10. Ab sofort befindet sich in den angeeigneten Räumlichkeiten ein selbstverwaltetes Zentrum. Kommt vorbei oder unterstützt die Aktion anderweitig. Für mehr autonome Räume und Raumaneignung in Jena!
Nach mehr als zwei Jahren Pause ist es mal wieder so weit. Wolja ist zurück und die allzulange Pause autonomer Raumaneignung in Jena ist Geschichte. Im Gebäude der Carl-Zeiss-Straße 10 wuseln im Moment zahlreiche Aktivist*innen und beginnen sich einzurichten. So entsteht Stück für Stück das selbstverwaltete Zentrum, welches der Jenaer Polit-Landschaft so schmerzlich fehlt.
Ein Blick zurück
Vor fast drei Jahren begannen einige Aktivist*innen auf die Raumfrage mit einer wenigstens in Jena aus der Mode gekommenen Strategie zu antworten. Sie besetzten am 6. Dezember 2013 in der Neugasse 17 ein Haus, um dort ein Infocafé zu eröffnen. Die Eigentümer*innen JenaWohnen (mittlerweile privatisiertes kommunales Wohnungsbauunternehmen) ließen jedoch nicht mit sich reden und stellten alsbald Strafantrag, womit die Aktion nach nicht einmal einem Tag ihr jähes Ende fand. Ohne Haus, aber mit neuer Inspiration und Motivation gewappnet, geisterte die Idee, der Raumnot anders als durch Bitten beim Stadtrat und Stadtentwicklungsausschuss beizukommen, durch die Jenaer „Szene“. Ein halbes Jahr später „erwischte“ es das Universitätsklinikum Jena. Ihr – vom Land Thüringen überlassenes Grundstück – in der Carl-Zeiss-Straße 11 wurde am 1. Juli 2014 besetzt. Nach kurzen (Schein)Verhandlungen mit den Besetzer*innen, entschieden sich die Eigentümer*innen auch hier nach weniger als 24h räumen zu lassen.
Danach ebbte der geweckte Enthusiasmus wieder ab, sicherlich auch weil die zweite Besetzung innerhalb eines halben Jahres ohne sichtbare Erfolge von trampelnden Bullen beendet wurde. Die praktische Auseinandersetzung um selbstverwaltete Räume fiehl so nach und nach auf den Stand von vor 2013 zurück. Schön separiert voneinander bevorzugten viele Initiativen und Projekte – vor allem aus der Kulturlandschaft Jenas – den Gang zur Stadt. Statt Türen selbstbestimmt einzutreten und sich Raum zu nehmen, nahmen sie lieber vor der Bürotür des Stadtentwicklungsdezernenten Peisker Platz, um nach Raum zu fragen.
Zurück in die Zukunft
Weil auch die Strategie des Fragens, des Bittens, des Zusammenarbeitens bei bzw. mit der Stadt keine zählbaren Erfolge mit sich brachte und im Gegenteil noch einen Keil zwischen soziokulturelles und linksradikales Milieu zu treiben scheint, entschieden sich einige Aktivist*innen sich Räume erneut autonom zu nehmen. Doch geht es nicht nur um die Aneignung von Raum selbst. Die Besetzung der Carl-Zeiss-Straße soll nach JenaWohnen, dem Universitätsklinikum Jena bzw. dem Land Thüringen ebenso einen dritten „Big Player“ auf dem Immobilienmarkt Jenas markieren: die Ernst-Abbe-Stiftung. Obwohl zum Zwecke der Wissenschaftsstiftung gegründet, engagiert sie sich eifrig darin zahlreichen Menschen in dieser Stadt Geld für Miete abzuknöpfen. All dies nicht, obwohl sie sich das sicher leisten könnte, zu sozialverträglichen Preisen, sondern immer schön nah am Mietspiegel, der mit 10-14€ pro qm (Innenstadt) einer der höchsten Deutschlands ist.
Zugleich lässt sie Teile ihres Bestandes (mehr als 1100 Wohnungen in Jena und Saalfeld) leer stehen. So zum Beispiel die Häuserzeile Carl-Zeiss-Straße 7-10. Lange spekulierte die Stiftung darauf, dass die Immobilienpreise o.g. Häuser demnächst kräftig anziehen würde, lag doch die Sanierung und Aufwertung des direkt angrenzenden Bachstraßenareals (z.Z. noch Gelände des Universitätsklinikums) in der Luft. Dieses Großprojekt hängt jedoch mittlerweile eher in den Seilen. Nun entschied sich die Abbe-Stiftung in Eigenregie zu sanieren und die lukrative Lage direkt am Campus der Friedrich-Schiller-Universität zu nutzen. Dafür kündigte sie allen noch in den Gebäuden wohnenden Mietparteien, um diese nun seit mehr als einem Jahr leerstehen zu lassen.
Ein selbstverwaltetes Zentrum für Alle!
Die Aktivist*innen wollten die Sanierung, die im Laufe des nächsten Jahres beginnen soll, nicht abwarten und die sich bietenden Räume ab sofort nutzen. Das Haus soll als Grundlage für politische Kämpfe dienen und diese zusammenführen. Deshalb sollen sich Menschen in der Carl-Zeiss-Straße 10 treffen können, um über ihre Probleme zu reden, sich gegenseitig zu helfen und um gemeinsam gegen Ausbeutung, Unterdrückung, Diskriminierung und Normierung zu kämpfen. Es dient also Menschen, deren Mieten erhöht oder Häuser ungefragt saniert werden, Geflüchteten, die sich mit Ämtern und Abschiebebehörden rumschlagen müssen und Monate oder Jahre lang keine eigene Wohnung und keine Arbeitserlaubnis bekommen, Menschen, die sexistische Anmachen und Übergriffe erleben und und und.
So könnte ein Ort entstehen, an dem Alltagskämpfe solidarisch und gemeinsam bewältigt werden können. Die erste Infrastruktur dafür steht. Um 16Uhr wird es ein Auftaktplenum geben. Kommt vorbei und mischt euch ein!